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AusstellungZeitRaum 3 NationalsozialismusThemenwand Unter Zwang Familie Isenberg

Familie Isenberg

Foto | um 1932
Privatbesitz

Isenbergs waren eine jüdische Familie, die seit drei Generationen in Halle lebte. Vater Moritz betrieb eine Metzgerei an der Langen Straße, seine Schwägerin Ida Herzberg führte nebenan einen Hutsalon. Auch Garten- und Weideland besaß die Familie. Die Frauen saßen – wie hier – gern mit einer Handarbeit in der Gartenlaube. Die Kinder Klara und Hans wurden in Halle geboren.

Antisemitische Boykottaufrufe schadeten den Geschäften Isenberg und Herzberg und führen die Familie 1936 in den Ruin. Da für Grundstücksverkäufe eine „Judenvermögensabgabe“ an den NS-Staat gezahlt werden musste, blieb den Isenbergs nicht genug, um die teure Emigration zu finanzieren.

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Details und Hintergründe

Gewollter Ruin einer jüdischen Familie

In Halle leben nur noch wenige Menschen, die Familie Isenberg persönlich gekannt haben. Sie waren damals Kinder und wissen nur durch Erzählingen von den guten, fröhlichen Tagen der Familie Isenberg in Halle vor 1933 und von den Schikanen danach. Die nüchterne Akte C 1444 im Haller Stadtarchiv dokumentiert den gewollten finanziellen Ruin der Isenbergs.

Der Briefwechsel zwischen Moritz Isenberg und den Behörden lässt erahnen, wie verzweifelt die Lage der Familie war. Davon soll hier berichtet werden.

 

Isenbergs – Eine deutsche Familie

Moritz Isenberg (1883-1942) war ein rechtschaffener Haller Metzgermeister. Er bewohnte mit Ehefrau Thekla, geb. Herzberg, das Haus Lange Straße 61. Der beliebte und geachtete Schlachter hatte das Anwesen von seinem Vater Nathan Isenberg (1853-1912) geerbt. Die Kinder Klara (*1911) und Hans (*1914) wurden in Halle geboren. Hier besuchten sie die Volksschule und hatten ihre Freunde.
Ida Herzberg, die ältere Schwester Thekla Isenbergs, führte im Nachbarhaus Lange Straße 63 einen Hutsalon und ein Damenmodegeschäft.

Das junge Paar Thekla und Moritz Isenberg um 1909. Foto (zeitgenössische Montage): Leihgabe der Enkelin Eve Isaakson/Israel.

Auf dem jüdischen Friedhof in Halle findet man unter den 46 erhaltenen Grabmalen auch das des Vaters Nathan und gleich daneben das seines Sohnes Joseph, Moritz‘ Bruder.
Joseph Isenebrg war Lehrer. Er starb mit 24 Jahren im französischen Donchery den „Heldentod“ für sein deutsches Vaterland, schon vier Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs. Auf seinen Grabstein hat die Familie das Eiserne Kreuz des Kaiserreiches setzen lassen, wie es bei einem deutschen Soldaten üblich war. Auch Johanne Isenberg (1855-1927), Josephs und Moritz Mutter, wurde in Halle bestattet.[1]

Das Isenbergsche Grundstück bestand aus dem Geschäftshaus, zwei Nebengebäuden, dem Schlachthaus und einem Garten. Bei Moritz Isenberg bekam man auch außerhalb der Ladenzeit noch Ware und man konnte anschreiben lassen. In einem Brief heißt es später, wohl nicht alle Kunden hätten am Ende ihre Schulden beglichen.

Haus Isenberg, später übernommen von dem Metzgergesellen Wilhelm Rieke, um 1950

Haus Isenberg, später übernommen von dem Metzgergesellen Wilhelm Rieke, um 1950. Foto: Stadtarchiv Halle (Westf.)

Klärchen Isenberg hatte gute Freundinnen aus der Schulzeit – Frieda Tarner und Hanna Witte von gegenüber – gemeinsam unternahmen die jungen Mädchen Radtouren und feierten Feste. Klara war Mitglied im Stenographie-Verein, wie viele junge Leute aus Halle. Sie hatte Kontoristin gelernt und arbeitete in der Verwaltung der Fleischwarenfabrik Rolff in Halle. Auch mtr der Kollegin Hilde war Klärchen befreundet.

1933 – eine ungewisse Zukunft
Nach der Machtübernahme durch die NSDAP 1933 wurde schnell deutlich, dass den jüdischen
Staatsbürgern eine ungewisse Zukunft bevorstand. Die am 15. September 1935 erlassenen Nürnberger Rassengesetze verschärften die Lage weiter. Vor allem schufen sie die juristische Grundlage für die Verfolgung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung mit dem Ziel der Enteignung, Vertreibung und Vernichtung.
In Halle wohnten Anfang 1938 noch die jüdische Familie Isenberg, die Familie Albert und Emma Sachs mit Ihrer Tochter Friedel, Ida Herzberg, Leopold Weinberg, und das Ehepaar Joseph und Martha Sachs. Die Fabrikantenfamilie Stern war bereits in die USA gezogen.

Böse Vorahnungen hatten auch den jungen Hans Isenberg schon 1936 bewogen, nach Südafrika auszuwandern. Die junge Nachbarin Hanna Witte half ihm bei der Flucht. Der Rest der Familie harrte aus bis zum bitteren Ende: der Deportation und Ermordung 1942.

Klara Isenberg als junges Mädchen. Foto: Leihgabe von Eve Isaakson.

Haller kaufen nicht bei Juden… − Isenbergs erster „freiwilliger“ Landverkauf
Die Isenbergs galten als recht wohlhabend. Nachdem aber die Bevölkerung durch den Boykottaufruf am 1. April 1933 aufgefordert worden war, bei Juden nicht mehr zu kaufen und die Einhaltung dieser Vorschrift aus dem gegenüber liegenden SA-Lokal Wölker überwacht werden konnte, gingen die Umsätze stetig zurück.

Moritz Isenberg geriet finanziell immer stärker in Bedrängnis, sodass er der Stadt Halle von sich aus ein 0,4521 ha großes Waldstück am Knüll zum Kauf anbot, als diese für den Bau eines Kleinkaliberschießstandes geeignetes Gelände suchte. Am 11. Juni 1938 kam das Areal für 2.260,50 Reichsmark (RM) in städtischen Besitz.
Obgleich der Kleinkaliberschießstand schon lange betrieben wurde, war der Geländekauf erst im Juni 1939 vom Regierungspräsidenten genehmigt worden und deshalb musste Isenberg auf sein Geld warten.
So blieb seine Bitte vom 30. März 1939 an die Stadt Halle auf Vorauszahlung von 1.000 RM – er habe Zahlungen zu leisten, verfüge aber über keinerlei Barmittel – ohne Wirkung. Der Stadtverwaltung war zwei Wochen zuvor nämlich ein Schreiben des Finanzamtes Bielefeld über Isenberg’sche Steuerrückstände zugegangen.

Das Finanzamt hatte von den Grundstücksgeschäften aus Juni 1938 und Januar 1939 zwischen Isenberg und der Stadt Halle Kenntnis erhalten und forderte am 17. März und noch einmal am 30. September 1939 die Abtretung der Verkaufserlöse in Höhe der Abgabenschulden (s.u.). Darauf hätte die Stadt auch durchaus eingehen können, denn Isenberg hatte ihr gegenüber auf seine Ansprüche in Höhe der Rückstände längst schriftlich verzichtet. Doch selbst das Finanzamt wurde mit Verweis auf die fehlende Kaufgenehmigung hingehalten.

Stenographie-Verein Halle, rechts Klara Isenberg. Leihgabe aus Privatbesitz.

Plötzlich ausgegrenzt - Klärchen Isenberg (ganz rechts) während eines Ausflugs mit dem Stenographie-Verein. Vor 1933 waren sie und ihre Familie Teil des gesellschaftlichen Lebens in Halle. Foto aus dem Nachlass einer Freundin..

Kollegen und Nachbarn kaufen Isenbergs Besitz
Am 3. August 1938 war Wilhelm Rieke für 21.000 RM neuer Inhaber von Isenbergs Schlachterei geworden. Für das Inventar bezahlte er zusätzlich 3.800 RM. Der Berufskollege und Mitarbeiter Rieke wird Isenberg angesichts seiner Zwangslage als Käufer recht gewesen sein. [2]
Den Hausgarten, eine Parzelle namens „Lange Acker“, erwarb ein Nachbar, der Bankdirektor und spätere Bürgermeister Gustav Schürmann, zum Preis von 2.520 RM.

 

„Judenvermögensabgabe“
Am Ende besaß die Familie Isenberg nur noch eine aus acht Parzellen bestehende landwirtschaftliche Nutzfläche am Schützenberg von 3,1255 ha Größe. Im Januar 1939 wechselte auch die den Eigentümer, weil eine drückende Schuld von 11.059,15 RM „Judenvermögensabgabe“ mit Säumniszuschlägen und Vollstreckungsgebühren aufgelaufen war, deren Bezahlung das Finanzamt einforderte (s.o.).
Die Judenvermögensabgabe war eine von NS-Generalfeldmarschall Hermann Göring zusätzlich zur Reichspogromnacht vom 9. November 1938 ersonnene Milliardenstrafe, „Sühneleistung“ genannt.

Den Pogrom, der wegen reichsweit zertrümmerter Fensterscheiben mit dem zynischen Begriff „Reichskristallnacht“ in die Geschichte einging, hatte das Isenbergsche Geschäft nur deshalb schadlos überstanden, weil SS-Angehörige und die Haller Polizei mögliche Übergriffe verhinderten. Die „Sühneleistung“ wurde am 12. November 1938 in Kraft gesetzt und betraf alle jüdischen Einwohner. Moritz Isenberg fand den ersten Abgabenbescheid schon drei Tage später im Briefkasten. Die „Sühneleistung“ betrug von nun an für ihn vierteljährlich 2.900 RM.

Nachbarskinder auf Isenbergs Hof vor 1933. Leihgabe von Familie Schürmann.

Nachbarskinder auf Isenbergs Hof vor 1933. Leihgabe von Ekkehard Schürmann.

Weitere Notverkäufe
Käufer der oben erwähnten landwirtschaftlichen Nutzfläche war erneut die Stadt. Sie bewilligte für die insgesamt 3.5776 ha (aus beiden Verkäufen) genau 16.032,75 RM, was einem Preis von 45 Pfennig für den Quadratmeter entsprach, ein Preis, den Amtsdirektor Meyer zu Hoberge „angemessen“ nannte.
Der Familie Isenberg verblieb nach Abzug der Finanzamtsforderung ein Betrag von 4.973,60 RM. Er wurde am 5. Oktober 1939 in bar ausgezahlt − mit 15 Monaten (!) Verzögerung. Das Finanzamt musste noch einen Tag länger warten.
Vermittler der „Notverkäufe“ war in Isenbergs Auftrag der Gastwirt Eduard Schürmann. Als Notare fungierten seinerzeit die Rechtsanwälte Austermann und Dr. Erich Läcke (der Haller NS-Ortsgruppenleiter) und – als dieser zum Militärdienst eingezogen war – Dr. Terwort.

 

Verkauf des Friedhofs

Nur einmal noch hatte Moritz Isenberg etwas anzubieten:
In seiner Eigenschaft als ehemaliges Vorstandsmitglied der jüdischen Kultusgemeinde übertrug er am 16. April 1940 das Eigentum an dem 2.200 qm großen jüdischen Friedhof für 600 RM auf den Maurer August Köhne.
Ein Drittel des Areals (738 qm) war mit Grabsteinen belegt und sollte nach der jüngsten Bestattung noch 30 Jahre lang unberührt bleiben. Die Frist endete praktisch bereits 1957, weil der 1927 verstorbenen Johanne Isenberg, Isenbergs Mutter, niemand mehr nachfolgte. Ab Juli 1942 lebte in Halle ohnehin kein Jude mehr. (Heute hat die Anlage den Status eines „Geschlossenen Friedhofs“. Die Pflege obliegt der Stadt. Das Land beteiligt sich finanziell.)
Das Kaufgeld ging damals an die sogenannte „Reichsvereinigung der Juden“, einer Behörde des NS-Regimes, die 1939 gegründet wurde, vorgeblich, „um Juden die Ausreise zu erleichtern“.

Grabsteine von Nathan und Joseph Isenberg, jüdischer Friedhof in Halle/Westfalen. Foto: Wolfgang Kosubek.

Moritz Isenberg musste 1940 den jüdischen Friedhof mit den Gräbern seiner Eltern und seines gefallenen Bruders Joseph veräußern. Foto: Wolfgang Kosubek.

Das Ende der Familie Isenberg
Die wirtschaftliche Existenz der Familie Isenberg war vernichtet. Nachbarn versorgten die Familie durch die Hecke, damit es niemand sah, immer wieder mit Lebensmitteln. Dies war vielleicht auch ein Dank an Thekla Isenberg: In Halle erzählt man, sie habe andren oft Gutes getan und vielen Wöchnerinnen ihre gute, stärkende Suppe gebracht.

Ein letzter Versuch von Hans Isenberg, seine Angehörigen nach Südafrika zu holen, scheiterte, weil für die notwendigen Ausreisedokumente das Geld fehlte. Nach der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942, auf der die sogenannte „Endlösung“ beschlossen wurde, gab es kein Entkommen mehr.
Zum 30. März 1942 erhielten Moritz, Thekla und Klara ihren Deportrationsbescheid. Klara stellte eine Kiste mit persönlichen Dingen zusammen, die Freunden in der Nähe von Köln zugedacht war.

Am Tag der Deportation wurden Isenbergs zunächst nach Werther gebracht. Dort habe der Bürgermeister Moritz Isenberg zum Abschied die Hand reichen wollen, was dieser ihm jedoch versagte, so erzählte man sich später. Gemeinsam mit den in Werther noch verbliebenen sieben Juden ging die Fahrt nach Bielefeld. Von dort wurden die Eheleute Isenberg und ihre Tochter mit einem Sammeltransport per Bahn in das Warschauer Ghetto verschleppt. Hier verlieren sich ihre Spuren. Ihr Todesdatum ist unbekannt. Es wurde später auf den 30. August 1942, 24 Uhr, festgesetzt.

Ida Herzberg und Leo Weinberg, ein Freund der Familie, bereiteten sich auf ihre Deportation am 31. Juli 1942 vor. Bekannte erinnern sich, dass Ida Herzberg oft fror. Daher nähten sie Ida Herzbergs Federbett kleiner, so dass sie es mitnehmen konnte. Die Haller Hutmacherin gelangte zunächst in das KZ Thresenstadt. Zwei Jahre später, am 9. Oktober 1944, wurde sie in Auschwitz registriert und dort ermordet.

 

„Wiedergutmachung“
Die von Isenberg erworbenen Ländereien veräußerte die Stadt Halle zum größten Teil an Dritte weiter. Das geht aus einem Protokoll vom 9. Juli 1951 mit dem Stichwort „Wiedergutmachung Isenberg“ hervor. Denn da Isenbergs Ruin durch Zwangsmaßnahmen herbeigeführt worden war und somit eine Enteignung darstellte, kam es im Zuge der Wiedergutmachung, die bald nach Kriegsende von den Alliierten eingeleitet wurde (und die später als Rückerstattungsgesetz in deutsches Recht überging), zu Ausgleichsansprüchen, die Hans Isenberg von Windhoek aus am 25. April 1950 über den Bielefelder Rechtsanwalt Bilitewski erhob. Das änderte auch die „Klarstellung“ von Meyer zu Hoberge in seinem Antwortschreiben vom 8. Mai an Bilitewski nicht, Isenbergs Vermögen sei nicht beschlagnahmt worden, er habe alles freiwillig verkauft.

Ida Herzberg überlebte zwei Jahre im KZ Theresienstadt. Portrait gezeichnet mit Rötelkreide von einem unbekannten Künstler. Leihgabe von Eve Isaakson.

Hans Isenberg, Windhoek

Um mit Hans Isenberg selbst ins Gespräch zu kommen, schickte Gustav Schürmann – inzwischen Stadtbürgermeister – mit Datum vom 1. Sept. 1950 einen zweiten Brief nach Südafrika, der erste war unbeantwortet geblieben. „Lieber Herr Isenberg“, begann Schürmann und schrieb sinngemäß weiter, am besten sei doch, er käme nach Halle, um im persönlichen Gespräch eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Er bot in dem Schreiben 50 Prozent Entschädigung auf die damals von der Stadt zu zahlende Kaufsumme von 16.032,75 RM an, und vergaß nicht, zu erwähnen, dass davon ja gut 11.000 RM an das Finanzamt überwiesen werden mussten.
Sechs Jahre nach Kriegsende kam es schließlich zu einem Vergleich, der dem überlebenden Sohn des Moritz Isenberg eine Entschädigung in Höhe von 54.150 Deutsche Mark zusprach, einschließlich 1.500 DM Anwaltskosten. Die Summe aus der Isenberg’schen Vermögensauflösung hatte 43.353 Reichsmark betragen. Die Wiedergutmachung belief sich somit auf 125 Prozent. Die Kaufkraft von Reichsmark und D-Mark war damals vergleichbar.
Bezahlen mussten alle, die Immobilien oder Grundflächen aus Isenbergs Besitz erhalten hatten, bis auf einen: den Käufer des Gartens. Dem schien Hans Isenberg über den an der Sache beteiligten Haller Rechtsanwalt Gartenfeld einen Verzicht auf Nachzahlung eingeräumt zu
haben. Dafür jedenfalls bedankt Gustav Schürmann sich in seinem Brief.
Das Protokoll vom 9. Juli 1951 nennt unter den Entschädigungssummen auch die von Frau Rieke, deren Mann im Krieg gefallen war:
Frau Else Rieke 23.455,74 DM
Fritz Schneiker 15.530,53 DM
Stadt Halle 6.107,37 DM
Heinrich Maus 5.169,72 DM
Hermann Strakerjahn 3.886,64 DM
Summe 54.150,00 DM
Weiter heißt es, „Herr Rechtsanwalt Eberlein (Anm.: wohl ein Kollege des Rechtsanwalt Bilitewski), Bielefeld, ist fernmündlich unterrichtet worden […], dass die Beteiligten den Nachweis einer Vollmacht zur Empfangsnahme der Vergleichssumme verlangen“.
Ferner: „Herr Bürgermeister Schürmann ist mündlich in Kenntnis gesetzt“.

Hans Isenberg einige Jahre nach der Flucht aus Deutschland. Foto: Leihgabe seiner Tochter Eve Isaakson.

Erinnerungen

Eine Kiste reiste von Halle in Westfalen über Köln nach Windhoek in Namibia und später nach Israel. Es war eben jene Kiste, in die Klara Isenberg vor ihrer Deportation ihre Aussteuer gelegt hatte – in der Hoffnung, ihren Verlobten Otto Sternberg einmal wiederzusehen. So erzählt es Hans‘ Tochter Eve Isaakson. Sie bewahrt die Kiste bis heute als kostbare Erinnerung.

Am 11. Februar 2019 wurden vor dem Haus Isenberg sechs Stolpersteine verlegt, im Beisein der Familie.

Klara und Moritz Isenberg neben ihren Betrieb. Leihgabe von Familie Rieke.

Klärchen Isenberg mit einem Freund der Familie, vielleicht Otto Sternberg. Leihgabe der Familie Rieke.

Chronologie

01.04.1933 Boykottaufruf „Kauft nicht bei Juden“;
15.09.1935 Nürnberger Rassengesetze;
1936 Hans Isenberg (* 31.08.1914) wandert nach Südafrika (Windhoek) aus;
11.06.1938 Moritz Isenberg verkauft der Stadt 0,4521 ha Land für einen Schießstand der Kyffhäuser-Kameradschaft, Notar ist Austermann;
03.08.1938 Wilhelm Rieke kauft die Schlachterei mit Inventar für 24.800 Reichsmark (RM),
den Hausgarten erwirbt Bankvorstand Gustav Schürmann für 2.520 RM;
09.11.1938 während der sogenannten „Reichskristallnacht“ (Pogromnacht) wird das Haus Isenberg durch Polizei und SS geschützt;
12.11.1938 die „Judenvermögensabgabe“ tritt in Kraft, Isenberg muss am 15.12.1938
2.061, am 15.02.1939 und dann alle drei Monate 2.900 RM aufbringen;
18.01.1939 Isenberg verkauft der Stadt weitere 3.1255 ha Grundfläche für 13.772,25 RM, Notar ist Dr. Erich Läcke;
17.03.1939 das Finanzamt Bielefeld meldet dem Amtsbürgermeister in Halle 5.098,15 RM Steuerrückstände des „Israel Moritz Isenberg“;
30.03.1939 Isenberg bittet die Stadt um 1.000 RM Vorauszahlung – ohne Erfolg;
27.07.1939 unter diesem Datum bescheinigt die Stadt Halle Isenberg zwecks Vorlage beim Finanzamt, das wohl dessen Steuerrückstände angemahnt hat,
dieser habe die geforderte Summe abgetreten und man werde sie zu gegebener Zeit überweisen;
11.09.1939 beim Oberpräsidenten in Münster sucht Meyer zu Hoberge schriftlich um Genehmigung des Kaufs der beiden Grundstücksflächen von „Moses Moritz Israel Isenberg“ nach; ein erheblicher Teil des Kaufpreises sei an das Finanzamt verpfändet; ferner ist zu lesen, der Kaufpreis sei angemessen;
30.09.1939 das Finanzamt Bielefeld teilt dem „Herrn Amtsbürgermeister in Halle/W.“ mit, die Steuerrückstände des Israel Moritz Isenberg hätten sich auf 11.059,15 RM erhöht. Man ersuche nunmehr um Überweisung;
05.10.1939 Moritz Isenberg erhält in bar 4.973,60 RM (s.„Bescheinigg.“ v. 22.02.1956);
06.10.1939 Stadt Halle überweist dem Finanzamt Bielefeld für Steuer-Nr. 34/220 (Isenberg) 11.059,15 RM (siehe „Bescheinigung“ vom 22.02.1956, Stadtarchiv Halle/Westf.);
16.04.1940 Moritz Isenberg verkauft den jüdischen Friedhof f. 600 RM an August Köhne;
20.01.1942 auf der Wannseekonferenz wird die sogenannte „Endlösung“ für Juden beschlossen;
30.03.1942 Famlie Isenberg wird von Bielefeld aus in das Warschauer Ghetto deportiert;
30.08.1943 auf diesen Zeitpunkt, 24 Uhr, wird ihr Tod erklärt;
24.10.1946 Brief des Haller Stadtdirektors an Hans Isenberg, Windhoek S.A., als Antwort auf dessen Brief vom 26.08.1946, in welchem Isenberg wohl (Brief liegt nicht vor) Aufklärung über das Schicksal seiner Familie verlangt hat;
25.04.1950 Schreiben von Rechtsanwalt Bilitewski, Bielefeld, an die „Stadtgemeinde Halle/i.W.“,
worin er sich als Prozessbevollmächtigter von Hans Isenberg vorstellt und die Herausgabe des Vermögens des Vaters verlangt;
01.09.1950 Brief von Bürgermeister Gustav Schürmann („Lieber Herr Isenberg“) an Hans Isenberg,
dem er u.a. eine Wiedergutmachung von 50 Prozent anbietet;
09.07.1951 (ein Sonntag!) Ratsprotokoll über einen Vergleichsvorschlag in der „Wiedergutmachungssache Isenberg“, worin 54.150 DM angeboten werden, mit
den genauen Summen der Beteiligten.
08.10.1952 Mitteilung des Stadt Halle an die Oberfinanzdirektion „Devisenüberwachung“ in Münster über die „Rückerstattungssache“ Isenberg. Aufgeführt sind die einzelnen Schuldner, die Einzelbeträge, der Gesamtbetrag über 52.650 DM. Rechtsanwalt Bilitewski erhielt 1.500 DM.

Hans Isenberg konnte am 19.07.1951 über das
Geld – es war auf einem Sperrkonto deponiert – verfügen.

Wolfgang Kosubek im Januar 2017

Kara und Hans Isenberg im Kreis von Klaras Freundinnen vor 1933. Leihgabe von Hanna Witte.

Die fröhliche Runde der Zeit vor 1933 wird zur Erinnerung. Klärchen wurde ermordet. Eine junge Nachbarin - sie steht in der hinteren Reihe ganz links - versteckte den 22jährigen Hans während der letzten Nacht vor seiner Flucht und brachte ihm seine Papiere zum Bielefelder Bahnhof nach. Leihgabe von Hanna Witte.

[1] Die Kaufmannstochter Johanne  geb. Nachmann, verw. Goldschmidt heiratete 1882, mit 27 Jahren, in zweiter Ehe Nathan Meier Seelig, genannt Isenberg. Die Eheleute hatten drei Kinder, Moritz und Joseph sowie die Tochter Meta, die nach Hannover heiratete. Vgl. Personenstandsregister der Stadt Halle, Stadtarchiv Halle (Westf.), Recherche Martin Wiegand.

[2] Als Bewohner des Geschäftshauses „Adolf-Hitler-Straße“ Nr. 61 werden im Adressbuch von Oktober 1938 folgende Personen aufgeführt: Wilhelm Rieke, Schlachtermeister; Leopold Weinberg, Buchhalter; Moritz Isenberg, Schlachter; Klara (Isenberg), Kontoristin; Ida Herzberg, ohne Beruf. Thekla Isenberg wird nicht gesondert genannt.
Im Gewerbeverzeichnis, Sparte Schlachter/Schlachtereien, wird u.a. Wilhelm Rieke aufgeführt, Moritz Isenberg jedoch nicht (mehr).

Quellen:
Volker Beckmann, „Die jüdische Bevölkerung der Landkreise Lübbecke und Halle i.W.;
Uwe Heckert, „Halle in Westfalen“, S. 107-119;
Albert Buck, „Die Haller Juden“, in 100 Jahre Haller Kreisblatt 1982;
Staatsarchiv Detmold, D1 Nr. 44791, D 20 A Nr. 6563 und 8577, D 27 Nr. 960;
Stadtarchiv Halle, Archivsammlung Band 24 „Juden“, Akte C 1444;
Adressbuch von 1938 für den Kreis Halle;
Stadtarchiv Halle, Akte C 1444: Brief von BM Schürmann am 1.9.1950 an Hans Isenberg;
sowie eig. Recherchen.