Am 27. Juli „Ist meine liebe Schwester Anna gestorben. 1912“ lautet ein Eintrag Henriette Caroline Horstmanns in das „Güldene Schatzkästlein der Kinder Gottes“. Das Büchlein mit Tageslosungen gehörte vor 150 Jahren so selbstverständlich zum Leben im Ravensberger Land wie Bibel und Gesangbuch. Es ist eine Schrift der Erweckungsbewegung, die den Menschen damals Trost und Halt gab. Die Glaubensgrundsätze der Bewegung, tätige Nächstenliebe und stiller Fleiß, prägten das Wesen der Ravensberger tiefgreifend – vielleicht sogar bis heute.
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Das „Leinenländchen“ Ravensberg erlebte seit den 1830er Jahren eine schwierige, zutiefst beängstigende Zeit: Der Rationalismus stellte jahrhundertealte Denkweisen in Frage. Die Verfechter der Demokratie drohten, die politische Führung zu stürzen. Schwere Missernten trafen besonders Kleinbauern und Heuerlinge. Vor allem aber zerstörte die beginnende Industrialisierung die Lebensgrundlage der Haller Handspinner und –weber unwiederbringlich.
Die Erweckungsbewegung bot sowohl geistig-seelische „Rettung“ als auch praktische Hilfe. Sie nahm die Sorgen aller Gläubigen gleichermaßen ernst und verwandte in ihren Predigten eine einfache Sprache. Zudem transportierte sie große Gefühle über Musik – die neu entstehenden Posaunenchöre – und vermittelte durch Sternwanderungen zu Gottesdiensten auf dem Land ein Gemeinschaftsgefühl. Ein wichtiges Anliegen der Erweckungsbewegung war die praktische Hilfe: „Gerettet sein gibt Rettersinn“. Daraus entstanden zahlreiche soziale, evangelische Einrichtungen, vom Jünglings- und Jungmädchenverein (CVJM) bis zu den von-Bodelschwingh’schen Anstalten in Bethel. Nicht selten unterstützten Unternehmer, die der Bewegung nahestanden, die Einrichtungen mit einer großzügigen Spende, etwa für das Haller Armenhaus in der Lindartstraße. Zur „Rettung“ gehörte auch die Missionsarbeit. So stellte Minden-Ravensberg mehr als 100 Missionare, die zumeist in Afrika eingesetzt wurden. Der Haller Pastor Dr. Julius Baumann war einer von ihnen.
Das „Schatzkästlein“ wurde innerhalb einer Familie (Neese-Horstmann-Kreft) über mehrere Generationen von Frau zu Frau weitervererbt, wie das Vorsatzblatt verrät. Zwischen 1852 und 1917 begleitete das Buch Henriette Caroline Horstmann Neese wie ein immerwährender Kalender Jahr für Jahr durchs Leben, wie die handschriftlichen Eintragungen über Familienereignisse belegen.