Er habe „einige Lust und Neigung bekommen“, schrieb der Haller Pfarrer Johann Christoph Engelbrecht, in stillen Stunden alte Schriften zu lesen und daraus eine „Sammlung von allerley politisch=historischen Nachrichten der Grafschaft Ravensberg“ zusammen zu stellen – nur so, zu seinem Vergnügen. Die Handschrift des Pfarrers füllte über 700 Seiten als er das Werk im Oktober 1729 beendete. Darin beschrieb er auch „die Halle, ein Städtlein“. Dies sei ein „recht angenehmer, lustiger und wohlbewohnter Ort, darin gute und starke Handlung getrieben wird“, vor allem mit Flachs und Leingarn.
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…und sein Lehrer war der Haller Gelehrte und „Historiograph“ Hermann Adolf Meinders. Engelbrecht zitiert in seiner Sammlung dessen Schriften, die fast sämtlich auf Latein verfasst waren. Staunen Sie mit uns, wie viel Bildung und weltläufiger Austausch damals bereits in Halle anzutreffen war!
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…wurde um 1700 in Halle getrieben, schreibt Engelbrecht. Vor allem das Leinengarn brachte dem „Städtlein“ seinen Wohlstand. Der Handel lief von Halle über die Weser nach Bremen, wo bereits die Segelschiffe warteten.
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…war Halle nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648). Ein besonderes Gesetz, die „Weichbildgerechtigkeit“ hatte dem Leinenhandel zur Blüte verholfen. Die Einnahmen investierte man auch damals schon in Immobilien, das heißt in Fachwerkhäuser. Viele von ihnen stehen heute noch, nach mehr 300 Jahren, so wie hier das Haus des Bürgermeisters Brune.
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Aus einer Pastorenfamilie stammte der 1689 in Bielefeld-Neustadt geborene Johann Christoph Engelbrecht. Seine Eltern waren der gleichnamige Superintendent Johann Christoph Engelbrecht und dessen Ehefrau Margarethe Elisabeth Hörmann, eine Tochter des Herforder Bürgermeisters. Von acht Geschwistern überlebten vier – Johann Christoph war das jüngste, ein Nachkömmling. Sein Vater starb bereits 1690 innerhalb von 14 Tagen an der „allhier eingerissenen Haupt=Kranckheit“ gegen die kein Medikament geholfen habe. Sehr beweint von der Mutter, die ihren „Eheliebsten“ verloren hatte, und von der Gemeinde der Neustädter Marienkirche, der er ein beliebter Prediger „von sonderbarer Bescheidenheit“ gewesen war.[1a]
Mit 20 Jahren entschied sich der junge Johann Christoph für eine kirchliche Laufbahn. Damit folgte er seinem Großvater, seinem Vater und seinem älteren Bruder Joachim. An der Universität Jena schrieb er sich 1710 zum Studium ein und wechselte nach mehreren Semestern an die Universität Halle an der Saale. Zurück in Bielefeld bot sich dem jungen Theologen eine Stelle als Feldprediger des Bielefelder Regiments von Duportai an. Doch schon kurz darauf wurde er nach Halle im Ravensbergischen berufen, wo die Stelle des 1. Pfarrers neu zu besetzen war. Am Sonntag, den 2. August läuteten die Glocken der St. Johanniskirche zur feierlichen Amtseinführung Johann Christoph Engelbrechts. Mit 27 Jahren hatte er in Halle eine Lebenstellung erhalten.[1b]
Zu dieser Zeit war Halle bereits ein wohlhabender Handelsflecken. Es lang günstig an den Fernhandelswegen von Bielefeld nach Osnabrück und von Herford nach Münster. In Halles Herz trohnte die Kirche mit ihrem massiven weit über das Land sichtbaren Turm. An den drei Straßen standen bereits 91 Häuser mit 102 Haushaltungen.[1]
Halle war weder Dorf noch Stadt, sondern etwas dazwischen, ein Wigbold oder Weichbild, wie Pfarrer Engelbert nennt. Die Wigboldgerechigkeit war eine Art Stadtrecht. Und seit dem 10. August 1652 gab es dieses Recht auch schriftlich im „Halleschen Wigboldbuch“.[2]
Es sah vor:
Und was ganz wesentlich war:
Man war zwar keine eigentliche Stadt, aber doch durch gewisse Privilegien herausgehoben aus dem platten Lande. Halle war stolz auf die Bedeutung als Handels- und Gerichtsort. Und die Einwohner „fühlten sich mit ihren geringeren städtischen Freiheiten denn auch als freie Bürger, die in Handel und Gewerbe mit den großen Städten wetteiferten und von diesen als Konkurrenten bekämpft wurden.“[4]
Die Dinge liefen gut. Die Fabrikation von Leinengarn und Leinenwebstoff hatte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg zum wichtigsten Gewerbe und Handelszweig entwickelt. Im Jahre 1688 bestand schon eine Leinenlegge. Also eine Prüfstelle, die sämlicher Leinenstoff vor den Verkauf durchlaufen musste. Halle war auf das robuste Löwendlinnen spezialisiert.
Handwerker verschiedenster Gewerke arbeiteten in Halle oder siedelten sich von außerhalb an, Glaser, Tischler, Seiler, Färber…[5] Kaufmannsfamilien wie die Abekes und Familie Brune brachten es zu Wohlstand, und kleideten sich entsprechend, mit Samt und Spitze. Auch weiß gepuderte Perücken sah man gelegentlich. Wer es sich leisten konnte, ließ sich sogar von Künstlerhand malen.
Die Inneneinrichtung der Kirche war um 1680 vollendet worden, mit ihrem Prunkstück, dem Barockaltar. Eine neue Glocke läutete seit 1682 zum Gottesdienst. Kulturelles Leben erblühte, und Musik, vor allem Orgelkonzerte, erfreute die Bürger. Das Genschenk der Henriette von Ledebur, eine neue Orgel für die Kirche, wurde 1718 glücklich angenommen.[6] Eine Schule gab es spätestens seit 1671. Wenn sich in den beengten Räumen auch die Tuberkulose schleichend verbreitete – alle Kinder lernten den Katechismus, rechnen, lesen und schreiben. Der Nachwuchs der Kaufleute erhielt zudem Privatunterricht.[7]
Und weil im Jahr 1692, das Gogericht von Versmold nach Halle verlegt worden war, erhielt der Haller Bürgerstolz zusätzlichen Aufwind. Gerichtstage hatte es in Halle schon im Mittelalter gegeben.[8] Aus dieser Zeit stammte die Linde, deren mächtige Krone den Platz vor dem Kirchhof beschattete. Schon 1351 wird sie als Schauplatz von Gerichtsverhandlungen erwähnt, später trat man unter dem Baum zu Versammlungen, Beratungen und Wahlen zusammen.[9] Oberster Gerichtsherr, der sogenannte Gograf war Hermann Adolph Meinders. Dessen eigentliche Leidenschaft war die historische Forschung. Er arbeitete an einer „Monumenta Ravensbergensia“ einer Geschichte Ravensbergs in 12 Bänden, die er in lateinischer Sprache verfasste, um von seinesgleichen verstanden zu werden.
So fand Pfarrer Johann Christoph Engelbrecht in Halle eine wachsende Gemeinde, eine gut ausgestattete Kirche und kluge Gesprächspartner – allen voran der 24 Jahre ältere Meinders, sein Lehrer und Vorbild. Wie dieser gab sich der Prediger in seinen „Mußestunden “ der Geschichte und dem Schreiben hin. Seine Sammlung der „politisch-historischen Nachrichten der Grafschaft Ravensberg“ leitete er mit den Worten ein:
„Geneigter Leser! Nachdem ich einige Lust und Neigung bekommen, die Historie der Grafschaft Ravensberg, als meines geliebten Vaterlandes, zu untersuchen, so habe nicht allein ein und andere Autores, die davon geschrieben haben, mir angeschafft, sondern es haben auch einige gute Freunde und Gönner ihre in den Händen habenden Manuskripta mir gütigst communizieret, welche ich bei müßigen Stunden durchgeblättert; habe […] diese zu meiner privat Information und Ergötzlichkeit aufgezeichnet und in diese Ordnung gebracht. Ich kann mir also deswegen selbst nichts zuschreiben, weilen es entborgte Sachen seyen“. Engelbrecht stellte die heimische Geschichte systematisch und nach einem klaren Konzept zusammen. Selbst an einem Stichwort- und Personenregister im Anhang ließ er es nicht fehlen. Trotzdem erhielt er von Meinders nur Kritik, was möglicherweise nich persönlich, sondern den widrigen äußeren Umständen geschuldet war:
Meinders und Engelbrecht erlebten 1719 gemeinsam Halles Erhebung zur Stadt und den rigiden Sparkurs des neuen preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., der bald als „Soldatenkönig“ tituliert wurde. Als königliche Sparmaßnahme verlor Meinders sein Amt als Gograf und verbitterte zunehmend Ob Pfarrer Engelbrecht ihm als Seelsorger zu Seite stand ist nicht bekannt. Ebenso ist offen, ob er den nächtlichen Gottesdienst leitete, als Meinders 1730 in der Haller Kirche beigesetzt wurde.
Lange überlebte Johann Christoph Engelbrecht den Gelehrten nicht. Er starb bereits mit 46 Jahren am 7. Juni 1735.
Katja Kosubek
mit Dank an Thomas Kriete für den Hinweis auf Engelbrechts „Sammlung“. Die vollständige Quelle ist im Portal Archive NRW zu finden.
[1a] In der Leichenpredigt des Pastors Hoffbauer wird die Ehefrau mit der biblischen Figus Naemi verglichen. Sie sei anmutig und lustig gewesen und „schön vor Glück; aber ach, nun ist es ganz anders“. Johann Christoph Hoffbauer: Leichenpredigt zum „Begräbniß Des … Herrn M. Johannis Christophori Engelbrächts/ Wolverordneten Superattendentis dieser Graffschaft Ravensberg … und hochbeliebten Predigers der NeuenStädter Gemeinde hieselbst“, Bielefeld 1690, Staatsbibliothek Berlin, Digitalisat URL: https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN1030570329&PHYSID=PHYS_0092&DMDID=&view=picture-single [online am 12. Juni 2022.
[1b] Friedrich Wilhelm Bauks: Die evangelischen Pfarrer in Westfalen von der Reformationszeit bis 1945, Bielefeld 1980, Eintrag 1509, Seite 119.
[1c] Heinrich Meise: Die Stadt Halle in Westfalen, Helle (Westf.) 1969. S. 42. Die Angabe bezieht sich auf das Jahr 1692.
[2] Stadtarchiv Halle (Westf.), Sammlung Meise, Ordner 1, Privilegia, S. 1. Niedergeschrieben von von dem Vogt Anton Schultze. Abweichend dazu nennt Meise in seinem Buch S. 34, das Jahr 1654, mit Bezug auf Aleman, Band II, S. 25.
[3] Sammlung Meise, Ordner 1, Privilegia, S. 4.
[4] Sammlung Meise Ordner 1, Abt. 108, S. 2.
[5] Buch Meise, S. 43.
[6] „Wie die Halle eine neue Orgel bekommen“ – Aufzeichnungen des Rektors Johann Friedrich Knopff (begonnen 1728), in: Stadtarchiv Halle (Westf.), Sammlung Frederking, transkribiert von Wolfgang Kosubek 2012.
[7] Sammlung Meise, Ordner 1, Kulturzustand… S. 2-4.
[8] N.N., 1351 – Gerichtstag unter der Linde.
[9] Buch Meise, S. 38.