Kondomautomat „Amor“

Stahlblech | 1959
Haller Zeiträume

Einen „Verkaufsautomaten für Gummiwaren“ brachte Alois Pohlmann Ende der 1950er-Jahre an seinem Seifengeschäft in der Bahnhofsstraße 35 an. Eine Packung mit drei Kondomen konne man kier 1,- DM. Auch das Fisörgeschäft Siegel hatte spätestens 1961 so einen Verkaufsautomaten.

Waren die Bewohner der Kleinstadt Halle bereit dafür?

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Details und Hintergründe

Es ist festgestellt worden ...

Der Haller Kondomstreit

Kondomautomaten waren erstmals zur Jahrhundertwende in Herrentoiletten aufgestellt worden. Der öffentliche Verkauf von Präservativen wurde nach dem Ersten Weltkrieg aber untersagt. Erhältlich waren sie allenfalls in den wenig verbreiteten Sexualberatungsstellen; später gab es sie auch in Drogerien und Frisörgeschäften zu kaufen. Die Kondomautomaten kehrten zurück, als 1927 im Parlament ein Zusatz zu Paragraph 184 des Strafgesetzbuches beschlossen wurde. Angesichts ihrer schützenden Wirkung gegen Geschlechtskrankheiten waren Kondome aus Automaten fortan nicht mehr grundsätzlich verboten, sondern nur dann, wenn die Verkaufsgeräte in Sitte und Anstand verletzender Weise auffielen. Diese ( nicht näher definierte ) Vorschrift galt in der Bundesrepublik fort, und die Gerichte orientierten sich an der Rechtspraxis der Weimarer Republik. Sie urteilten strenger, wenn es um Kondomautomaten in einer Kleinstadt ging, wo die Empörung prinzipiell größer sei als im Zentrum einer Großstadt“. [1.1].

Soviel zunächst zur Geschichte der an sich unscheinbaren Kondomautomaten und den durch sie ausgelösten Diskussionen in Bezug auf moralische Werte. Auch in der kleinen Stadt Halle? Ja, wie der folgende, über Akten des Stadtarchivs belegte Rechtsstreit zeigt. Das Normensystem der Jahrhundertwende war auch in der Nachkriegszeit noch der Bezugsrahmen, wie die teils erbitterte Auseinandersetzung um die Kondomautomaten auch in der Lindenstadt zeigt:

Halle 23. Januar 1959

Gerichtet gegen:

Herrn Alois Pohlmann, Bahnhofstraße 35

Ordnungsverfügung

Betrifft: Untersagung des Verkaufs von Gummischutzmitteln aus Warenautomaten

Es ist festgestellt worden, dass Sie in Verbindung mit ihrem Ladengeschäft aus einem Warenautomaten auf öffentlicher Straße Gummischutzmittel zum Verkauf anbieten.

Durch das Anbieten von Gummischutzmitteln aus Warenautomaten auf öffentlichen Straßen werden Gefahren verursacht, die die öffentliche Ordnung bedrohen. Sie bestehen darin, dass Kindern und Jugendlichen Verwahrlosung und Schädigung ihrer Moral droht, indem sie sich unschwer Gummischutzmittel aus Warenautomaten beschaffen können. Dadurch wird der Ort, an dem ein Warenautomat mit Gummischutzmitteln aufgestellt wird zu einem solchen gestempelt, an dem der Jugend Verwahrlosung droht. Damit ist eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung gegeben. Aufgrund des Paragraph 44 /10 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.10 1956 […] fordere ich Sie auf, den Verkauf von Gummischutzmitteln aus Warenautomaten sofort einzustellen. Für den Fall, dass Sie diese Verfügung nicht verfolgen, wird in hierdurch aufgrund der Paragraphen 60 und 62 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen […] die Festsetzung eines Zwangsgeldes von 100 D-Mark angedroht [A].

Gefahren für die öffentliche Ordnung, Gefahr der Verwahrlosung und Schädigung der Moral von Kindern und Jugendlichen durch den Automatenverkauf von Kondomen? Heute kaum vorstellbar, und dennoch war diese hochamtliche Ordnungsverfügung einschließlich der Mitteilung der Rechtsgrundlage und Rechtsbehelfsbelehrung vor gut 60 Jahren noch Auftakt für einen umfänglicheren Rechtsstreit, der die Gemüter bewegte und Bürger, Händler, Amtsvertreter und nicht zuletzt Rechtsanwälte beschäftigte. Was war geschehen?

Die Bundesregierung legte die im April 1956 einen Gesetzesvorschlag für ein grundsätzliches Verbot der Automaten für sogenannte Gummischutz-Mittel vor. Paragraph 41 der Gewerbeordnung sollte dem Auftrag zufolge den Zusatz erhalten: „das Feilbieten empfängnisverhütende Mittel durch Warenautomaten ist verboten“. Der Bundesrat lehnte das Vorhaben jedoch mit dem Argument ab, ein eigenes Gesetz dazu sei nicht notwendig“. [1.2]. Die Gerichte fällten angesichts der Rechtsunsicherheit nun eine Vielzahl ganz unterschiedliche Urteile: manche verboten die Automaten zwecks waren Wahrung der Sittlichkeit, andere hat nichts dagegen einzuwenden, wieder andere machen ihre Entscheidung von den näheren Umständen abhängig. Sie hielten Apparate, die sich an öffentlichen Straßen und Plätzen befanden oder in der Nähe von Kirchen, Schulen, Bushaltestellen, Eisdielen und anderen von Jugendlichen stark frequentierten Orten angebracht waren, für besonders verwerflich und untersagten ihren Betrieb. Hingegen ließen sie solche Automaten unbeanstandet, die verdeckt in Hauseingängen hingen und deren Münzeinwurf jetzt höher als 170 cm angebracht war, so das Heranwachsen die ihn nicht erreichten. Auch war es für die Gerichte ein Kriterium, ob ein Automat noch andere Waren, beispielsweise Zigaretten, Traubenzucker oder Süßigkeiten, enthielt, dann untersagten sie den Kondomverkauf. Außerdem kam es darauf an, ob die Kondompackungen senkrecht im Automatenschacht standen, so dass ihre Reklame als Schrift zu lesen war, … oder ob sie quer einsortiert waren, so dass nur die unbeschriftete Schmalseite zu sehen war, was geduldet wurde“. [1.3]. Diese Rechtslage führte in manchen Regionen zu heute skurril anmutenden Versuchen, Kondome weiterhin zu verkaufen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.

Hierzu ein kreatives Beispiel: [entnommen BGH, 27.01.1961 – 1 StR 600/60]

Die Angeklagte betreibt ein Friseurgeschäft in B. An der Hauswand zur Straße hin ist ein Warenautomat angebracht. In diesem Automaten hielt die Angeklagte Gummischutzmittel (Präservative) feil. Bis Sommer 1959 legte sie die Schutzmittel in der Fabrikpackung in den Automaten eins jedoch so, daß die Aufschrift nicht zu lesen war; seit Juli 1959 wickelte sie jede Packung in weites Seidenpapier und legte darüber größere und nicht getarnte Packungen Badesalz.“ [entnommen: Bestätigung von BGHSt 13,16]

Der Bundesgerichtshof setzte der widersprüchlichen Urteilspraxis schließlich ein Ende: Karlsruhe verhängte im März 1959 ein grundsätzliches Verbot für die Maschinen und bestätigte diese Rechtsauffassung nachfolgend: „ Der Senat hält daran fest, daß gegen Sitte und Anstand verstößt, wer Mittel oder Gegenstandes die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, in Warenautomaten an öffentlichen Straßen oder Plätzen feilhält, gleichviel, ob andere anstößige Umstände noch hinzutreten oder fehlen“ (Bestätigung von BGHSt 13,16). In Halle wurde fortan akribisch auf die Einhaltung der aktuellen Kondomautomaten – Gesetzgebung geachtet, wie wir dem an den Außendienstbeamten Siekmann aus Künsebeck gerichteten Auftrag vom Oktober 1961 unschwer entnehmen können:

Verkauf von Gummischutzmitteln in Warenautomaten an öffentlichen Straßen und Plätzen

Der Bundesgerichtshof hat einen Beschluss bestätigt, dass gegen Sitte und Anstand verstößt, wer Mittel oder Gegenstände, die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, in Warenautomaten an öffentlichen Straßen oder Plätzen feilhält, gleichviel, ob andere anstößige Umstände noch hinzutreten oder fehlen. Ich bitte Sie gelegentlich von Dienstfahrten darauf zu achten, ob im Amtsbezirk in Warenautomaten Gummischutzmittel angeboten oder feilgehalten werden. Die Automaten beim Friseurgeschäft Siegel und dem Seifengeschäft Pohlman in Halle Westfalen bitte ich besonders zu überprüfen.

Halle in Westfalen, den 14.11 1961 [A]

Der brave Beamte kam dem Auftrag nach, scheint aber beim geschäftstüchtigen Frisör auf „Granit“ gebissen zu haben:

An Ordnungsamt

im Hause

[…] die Kontrolle habe ich durchgeführt. Nach wie vor hat Herr Siegel […] die Gummischutzmittel in seinem Verkaufsautomaten. Wie er mir sagte, würde er laufend kontrolliert. Man dürfe das auch, denn das Ordnungsamt hätte den Prozess bekanntlich verloren. Was soll hier nun geschehen? Soll Strafantrag gestellt werden? Bei den anderen Geschäftsleuten fand ich keine Gummischutzmitteln in den Verkaufsautomaten vor.
Siegmann [A]

Am 1. Dezember 1961 wurde schließlich erneut und wohl nach vielfachem Hin und her Seitens der Stadt Halle Strafantrag gegen den Frisör Siegel gestellt. Im Zuge des Verfahrens erfolgten polizeilich Vernehmungen, die unter anderem auch zutage förderten, das ein Kölner Rechtsanwalt Frisören und Drogisten die Auskunft gebe, das diese Art des Kondomverkaufes nicht strafbar sei. Allerdings handelte dieser Rechtsanwalt nach Ansicht des ermittelnden Staatsanwaltes wohl im Auftrag der Gummischutzmittelindustrie! Der Staatsanwalt ging daher von einem „entschuldbaren Irrtum“ seitens Siegels aus und hielt die Einstellung des Verfahrens noch ein letztes Mal für geboten. Zumal sich der Frisör nach wohl erneuter Belehrung bereit erklärte, den Verkauf von Gummischutzmitteln sofort einzustellen. [A]. Wann dieser wieder aufgenommen wurde, ist nicht überliefert…

Untere Bahnhofstraße in den 60ern: Ort der Jugendgefährdung (links hinter den Bäumen versteckt sich das Pohlmansche Geschäft mit Kondomautomat). Foto: Stadtarchiv Halle (Westf.)

Epilog

Sittlichkeitsverfechter begrüßten das Urteil des Bundesgerichtshofes. Man habe den Automatenverkauf schon seit langem als amerikanische Modeerscheinung kritisiert, der zur Verflachung der menschlichen Beziehung führen und die Mechanisierung des Kontaktes zufolge habe. Kondomautomaten galten als Inbegriff der Unmoral: als Aufforderung zur Unzucht, Verleitung zum Ehebruch und Ermunterung zur Prostitution. Auf Jugendlichen die Geräte deshalb einen besonderen Reiz aus, hieß es, weil sie ihnen ermöglichten, sich der Kontrolle durch Erwachsene zu entziehen und voreheliche Beziehungen aufzunehmen. Die Innere Mission, die Landesarbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Nordrhein-Westfalen und einer Reihe von Gesundheitsämtern unterstützte die Karlsruher Verbotsentscheidung “. [1.4].

Stefan Plogmann

A. Akte Stadtarchiv Halle

1.1. Steinbacher, Sybille: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011, S.124

1.2. Steinbacher, Sybille: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011, S.123

1.3. Steinbacher, Sybille: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik München 2011, S.124.

1.4. Steinbacher, Sybille: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik München 2011,  S.126.

BGH, 27.01.1961 – 1 StR 600/60