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Wagschale und Gewichte

Messing | Ende 19. Jahrhundert
Leihgabe von Familie Vahlkamp

Das Leben wurde einfacher, als zum 1. Januar 1872 neue Maße und Gewichte eingeführt wurden, die zum ersten Mal einheitlich in ganz Deutschland galten: Meter, Gramm und Liter.

Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war die Zeit der deutschen Kleinstatten und jeweils eigenen Maßeinheiten vorbei. Haller Handwerker und Kaufleute mussten sich nicht mehr mit den unterschiedlich langen Bielefelder Ellen, Berliner Ellen, Brabanter Ellen und deren Umrechnung herumschlagen. Über die korrekte Verwendung der neuen Maße wachte das scharfe Auge des Haller Eichamtes – und wehe, es wurde geschummelt…

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Exponat: Wagschale und Gewichte

„Darf’s ein bisschen mehr sein…?

Einführung neuer Maße und Gewichte 1872

Die nette Verkäuferin auf dem Wochenmarkt schaut auf Ihre Waage. „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ fragt sie lächelnd. „Ja, gern!“ nickt die Kundin.
Die Waage zeigt Gramm und Kilogramm, so wie auf allen Wochenmärkten in Deutschland. Ebenso wird in allen deutschen Baumärkten nach Metern und Zentimetern abgerechnet. Ob beim Backen oder Bauen, wir arbeiten ganz selbstverständlich mit dem „dezimalmetrischen System“.
Die Körpermaße eines Herrschers sind für uns nicht mehr maßgeblich. Die Zeit von Fuß und Ellen ist vorbei.

Das Leben wurde einfacher, als zum 1. Januar 1872, also vor genau 150 Jahren, neue Maße und Gewichte eingeführt wurden. Zum allerersten Mal galten sie einheitlich in ganz Deutschland.
Warum dies ein gewaltiger Schritt in der Geschichte war, zeigt ein Blick zurück…

 

Wie groß sind die Füße in Bielefeld?
Deutschland war vor 1871 noch kein geeinter Nationalstaat, sondern ein regelrechter “Flickenteppich“ aus vielen eigenständigen Kleinstaaten. Erst mit der Gründung des Deutschen Reiches sollte sich das ändern.
Mit zunehmendem Handel, Verkehr und Gewerbe wurde es für die Menschen immer schwieriger, ihre Geschäfte durchzuführen, denn überall galten unterschiedliche Maße und Gewichte. Jedes Land und fast jede größere Stadt hatten eigene Maßeinheiten – über 3000 gab es insgesamt.
Die Haller Leinenkaufleute maßen beispielsweise ihr Tuch nach Ellen. Allerdings hatte eine Bielefelder Elle eine andere Länge als eine Berliner Elle oder eine Brabanter Elle.[1]

So musste man sich in den deutschen Ländern allein mit über 100 verschiedenen Ellenmaßen herumschlagen! Immer wieder kam es zu Streitereien durch Fehler bei den Umrechnungen.

Die Bahnhofstraße in Halle 1909. Mit der der Bodenwaage an der Bahnhofsgaststätte Ermshaus (später Windmöller, heute Neubau Hubertus Apotheke) konnten ganze Fuhrwerke gewogen werden. Rechts ist die Friedhofsmauer zu erkennen. Stadtarchiv Halle (Westf.)

Revolutionär – der „Meter“
Abhilfe schuf man 1868 mit der Maß- und Gewichtsordnung für den Norddeutschen Bund vom 17. August (MGO). In ihr wurde festgelegt, dass im öffentlichen Verkehr vom 1. Januar 1872 nur die neuen Maße und Gewichte gebraucht werden dürfen. Es galt das „metrische System“. Damit folgte man dem Beispiel des revolutionären Frankreichs. Dort hatten die Bürgerlichen schon 1793 die Maße des Adels abgeschafft und stattdessen den „Meter“ festgelegt. Dieses Längenmaß war allgemein gültig abgeleitet von einem zehnmillionstel Teil der Strecke vom Nordpol zum Äquator.
Die Deutschen mussten sich vor 150 Jahren also von Bezeichnungen wie z.B. Ruthe, Elle, Fuß, Scheffel, Metze, Loth und Anker verabschieden. Neues Maß war das Metermaß mit allen seinen Ableitungen:

  • Längenmaße: Millimeter, Zentimeter, Dezimeter, Meter, Kilometer
  • Flächenmaße: Quadratmeter, Ar, Hektar
  • Hohlmaße: Liter, Hektoliter
  • Gewichte: Gramm, Kilogramm

Die neuen Maße waren Dezimalmaße, also ein Zehnersystem, und so beim Rechnen leicht zu handhaben.
Das „Dutzend“ bestehend aus jeweils 12 und der „Schock“ bestehend aus jeweils 60 verschwanden weitgehend. Allein bei der Uhrzeit blieb das Zwölfersystem erhalten.
Da die Deutschen jedoch Maßeinheiten gewohnt waren, unter denen man sich etwas Bildliches vorstellen konnte, erlaubte der Staat für eine Übergangszeit bis 1884 alternative Bezeichnungen für die neuen Maße:

  • Stab für 1 m
    Kette für 10 m
    Neuzoll für 1 cm
    Strich für 1 mm
  • Fass für 1 hl
    Scheffel für 50 l
    Kanne für 1 l
    Schoppen für ½ l
  • Zentner für 50 kg
    Pfund für ½ kg
    Neulot für 10 g
    Doppelzentner für 100 kg

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Dezimalwaage, auch Sackwaage genannt, hergestellt vom Handwerksbetrieb Wilhelm Voss in Halle (Westf). Sammlung Haller ZeitRäume.

Stempel und Strafen – Das Eichamt in Halle
Die neue Maß- und Gewichtsordnung wurde 1871 zum Reichgesetz erhoben. Eine Weiterbenutzung alter Gewichte war ab 1872 strafbar. Die Überwachung übernahmen in Westfalen die vierzig neu eingerichteten Eichämter. Jedes verfügte über einen eigenen Stempel, mit dem die geprüften Messgeräte versehen wurden, wie etwa Waagen und Gewichte. Das Eichamt in Bielefeld hatte die Stempel-Nr. 9/16 (1871-1914), das Eichamt Halle erhielt später die Nr. 9/20 (1899-1914).
Tätig wurde das Eichamt unter anderem, wenn die Firma Wilhelm Voss an der Kaiserstraße/Ecke Lindartstraße in Halle neue Dezimalwaagen gebaut hatte.[2]

Diese Sackwaagen wurden im ländlichen Halle überall gebraucht. Eine davon befindet sich heute in der Sammlung des Geschichtsmuseums Haller ZeitRäume.
Alle zwei Jahre mussten die Eichstempel aller Messgerätschaften erneuert werden.
Entsprechend fanden in der Zeit um 1900 regelmäßig Revisionen aller Maße und Gewichte statt, die in Haller Gastwirtschaften, Geschäften und Fabriken im Einsatz waren.[3]

Auf langen Listen wurden die beanstandeten Gegenstände dokumentiert: Im Jahre 1899 benutzte Kaufmann C.H. Brune in seinem Kolonialwarenladen am Lindenplatz ein zu leichtes 50g Gewicht, bei Gastwirt Künsebeck an der Rosenstraße fehlte der Eichstempel am ½ Litermaß, und die 10 kg Balkenwaage des Fabrikanten Kisker funktionierte die nicht ordnungsgemäß. Alle fehlerhaften Gegenstände wurden polizeilich beschlagnahmt. Nicht beschlagnahmen ließen sich die Bodenwaagen vor der Gaststätte Hollmann oder der Bahnhofswirtschaft Windmöller, auf denen ganze Fuhrwerke mit Ladung gewogen werden konnten.

 

Der Meter erobert die Welt
Die nachdem Frankreich und Deutschland das metrische System eingeführt hatten, schritt die Vereinheitlichung in Europa und darüber hinaus weiter fort: So wurde 1875 die Internationale Meterkonvention von 17 Staaten der Erde unterzeichnet, darunter Frankreich, Deutsches Reich, Italien, Portugal, Argentinien, Peru, das Osmanische Reich und die USA. Heute hat die Meterkonvention 63 Mitgliedsstaaten.

 

Martin Wiegand, 1. Januar 2022

Emaille-Emblem des Handwerksbetriebs Wilhelm Voss an der Lindartstraße/Ecke Kaiserstraße in Halle (Westf.), angebracht an der Dezimalwaage. Sammlung des Museums Haller ZeitRäume (vor der Holzbockbehandlung).

[1] Anschaulich wird dies am „Leggetisch“ im Historischen Museum Bielefeld. Auf ihm ist eine Maßleiste aus Messing angebracht, an der die Breite des gewebten Leinenstoffes gemessen wurde. Komplizierte Bruchzahlen neben den Markierungen geben die Berechnung der verschiedenen Ellenmaße wieder.

[2] Vgl. auch: Historische Adressbücher des Kreises Halle i.W. im Stadtarchiv Halle (Westf.).

[3] Die folgenden Angaben finden sich im Stadtarchiv Halle (Westf.), Akte B 475.