Der Dreißigjährige Krieg hinterließ tiefe Spuren in Halle. So erlebten die Hallerinnen und Haller im Sommer 1623 den Durchmarsch hunderter Soldaten. Es waren die Truppen des Herzogs Christan von Braunschweig, verfolgt vom Heer des Freiherrn von Tilly. Wollten die etwa 320 Einheimischen nicht die geforderten Mengen an Brot und Bier stellen, wurde gnadenlos geplündert…
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Die Gastwirtschaft „Haller Altstadt“ zapft ihr Bier im zweitältesten Fachwerkhaus am Haller Kirchplatz. Es wurde 1615 von dem Ehepaar Kunsemöller/Schürmans errichtet. Noch älter ist nur das heutige Kunstmuseum. Als Halle vor genau 400 Jahren, im Dreißigjährigen Krieg, bedeutende Truppendurchmärsche erlebte, standen die beiden Häuser bereits. Was spielte sich damals ab?
Hintergrund
Der Krieg brach 1618 in Böhmen aus. Dort rebellierten die überwiegend protestantischen Stände (Adlige und Städte) gegen die Politik des streng katholischen König Ferdinand II, weil er ihre Religionsfreiheit einschränken wollte. Ferdinand stammte aus einer Nebenlinie der katholischen Habsburger und war ab 1619 auch deutscher Kaiser. Eine erregte protestantische Menschenmenge warf zwei der kaiserlichen Statthalter sowie den Kanzleisekretär aus dem Fenster der Prager Burg. Der Vorfall ging als „Prager Fenstersturz“ in die Geschichte ein.
Während des Dreißigjährigen Krieges wurden die deutschen Lande zum Schauplatz einer europäischen Katastrophe. [1] Die Auseinandersetzung, die als reiner Religionskrieg begann, weitete sich derart aus, dass am Ende auch Dänemark, Schweden, Spanien, die Republik der Vereinten Niederlande und Frankreich in den Krieg verwickelt waren. Nun ging es vor allem um Macht und Territorien.
Mit zunehmender Härte kam der Dreißigjährige Krieg auch in das Ravensberger Land. Die Grafschaft Ravensberg war zwar offiziell neutral, wurde aber wiederholt Schauplatz von Durchmärschen, Einquartierungen und Kämpfen. Truppen fast aller Kriegsparteien durchzogen die Grafschaft.[2]
Verfolgt von Tilly – Christian „der Wilde“ passiert Halle
In den Jahren nach dem Ausbruch des Krieges drängte Tilly, ein katholisch-kaiserlicher Heerführer, die protestantischen Truppen des Christian von Braunschweig (auch „der Tolle Christian“ oder „der Wilde“ genannt) bis nach Norddeutschland zurück. Auf diesem Weg kamen Teile der insgesamt 16 000 Mann starken Armee von Christian um den 23. Juli 1623 auch durch Halle. Verfolgt wurde sie von Tilly mit 21 000 Mann zu Fuß und 11 000 Mann zu Pferde.[3] Am 1. August nahm Tilly seinen Weg durch die „lange Senne“, eine ausgedehnte Heidefläche, in die Grafschaft Ravensberg und kam am Abend in Brackwede an. Dann rückte er auf aufgeweichten Wegen über Halle westwärts zur Ems. Nicht alle, aber Hunderte, vielleicht Tausende dieser Soldaten passierten Halle am 2. oder 3. August 1623.[4]
Diese Armeen mussten verpflegt werden. Da die Vorräte nicht ausreichten, kam es wiederholt zu Plünderungen, Beschlagnahmungen, Einquartierungen und räuberischen Überfällen. Als Christian die Grafschaft Ravensberg am 23. Juli erreicht hatte, „forderte er von der Landschaft Lebensmittel für seine Truppen, erklärte jedoch von Borgholzhausen aus, wo ihn einzelne Adelige aufgesucht hatten, um eine Ermässigung seiner Ansprüche zu erwirken, dass er […] sich vorläufig mit der Lieferung von 25 000 Stück zweipfündiger Brote und 350 Fässern Bier begnügen wolle.“[5] Auch das „Wigbold“ (Weichbild) Halle mit seinen 320 Einwohnern blieb davon nicht verschont.[6] Die Leute verloren ihre Vorräte für den Winter. Ihre Pferde, Kühe und Schweine wurden geschlachtet oder weggeführt. Zudem waren sie durch immer höhere Kriegssteuern (Kriegscontributionen) gebeutelt.[7]
Es gibt nur wenige Berichte über die Vorkommnisse und Zustände in Halle während dieser Zeit. Wenn aber der Landschreiber Biermann nach 1648 feststellt, “daß die Städte des Amtes Ravensberg bis auf den dritten Teil zerstört“ seien, dann ist die Annahme berechtigt, dass auch unser Ort, in dem sich die Heerwege in verschiedenen Richtungen kreuzten, schlimme Jahre gesehen hat.
Aus der Zeit vor dem Kriege stammen nur die beiden Fachwerkhäuser am Kirchplatz Nr. 3 (heute „Museum für Jugendwerke bedeutender Künstler“) und Nr. 7 (heute Gastwirtschaft „Haller Altstadt“), sowie die St. Johanniskirche, der bei Kriegsende das Dach fehlte. Man kann sich kaum vorstellen, was sich in Halle und den benachbarten Städten und Dörfern an Hunger, Elend und Gewalt ereignet hat. Schon allein ein Durchmarsch solch großer Heere wie vor 400 Jahren wird bei den Hallerinnen und Hallern einen wahrhaft „verheerenden“ Eindruck hinterlassen haben.
Andreas Germann
23. Juli 2023
Nachtrag: Das Heer Christians von Braunschweig wurde wenige Tage später, am 6. August 1623 bei Stadtlohn, vom Tillys Truppen fast vollständig vernichtet.
Die Kirche als Trutzburg
In der Kirche deponierten die Hallerinnen und Haller bei Gefahr übrigens auch ihre Kisten mit Wertsachen. So etwa bei einem erwarteten Einfall schwedischer Reiter am 16. April 1633. An dem, was die Schweden nicht erbeutet hatten, taten sich anschließend einige Einheimische gütlich, die selbst nur wenig oder nichts in der Kirche verwahrt hatten.
Ein Augenzeuge, Heinrich zu Consemühlen, der von den Soldaten nicht beraubt worden war, saß nun in der Kirche auf seiner Kiste und beobachtete diese Nachplünderung: Henrich Hilling schleppte große Mengen Sachen in Richtung Bielefeld und seine Tochter versuchte, diese dort zu verkaufen, zum Beispiel seidene Haarbänder. Eine Frau, Anneken Hoykerung, und ihre Tochter nahmen auch deutlich mehr mit als sie gebracht hatten – zur Empörung der ursprünglichen Eigentümer.[8]
Die Johanniskirche hatte ihre südlichen Seitenschiffe scho im späten Mittelalter erhalten. In den Jahren der beschriebenen Ereignisse wird ihre Südansicht (siehe Foto) der heutigen also schon sehr ähnlich gewesen sein. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 erlebte Halle mit seinem Bürgermeister Brune lange Wiederaufbaujahre, die in eine Blütezeit um 1700 übergingen. Aber das ist eine andere Geschichte…
Dr. Katja Kosubek
1. August 2023
[1] Vgl. Christopher Clark: Preußen, Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, München 2007, S. 40.
[2] Wilhelm Redecker: Werther – Ein Streifzug durch die 1000-jährige Geschichte, Werther (Westf.) 2012, S. 41.
[3] Die Beteiligten:
[4] Als ältester Beleg hierfür dient der Bericht des Antoine Graf von Villermont aus dem Jahr 1860:
„In der Front durch die Kaiserlichen und im Rücken durch die Neue Armee des niedersächsischen Kreises bedroht, konnte er (Christian) sich nicht mehr in seinen Stellungen behaupten. In der Nacht des 21. Juli verließ er Nordheim mit 16,000 Mann zu Fuß, 5000 Pferden und 16 Geschützen. Vor seinem Abmarsch machte er seinen erbitterten Gefühlen in einem Briefe an den niedersächsischen Kreis Luft, sagte seiner Familie ein ewiges Lebewohl und legte einige Tage später (28. Juli) das Bisthum Halberstadt, sowie auch alle seine geistigen Pfründen nieder. Den 28. ging er bei Hameln über die Weser und drang in die Grafschaft Lippe. Tilly folgte seinen Fußstapfen, allein er war zwei Tagmärsche entfernt und wurde genöthigt, einen vollen Tag vor Höxter zuzubringen, infolge der Hindernisse, welche die Einwohner wegen des Durchmarsches machten; nach einiger Unterredung öffnete indessen die Stadt ihre Thore und willigte ihre Aufnahme einer Besatzung von 2000 Mann, welche Tilly mit Artillerie, Lebensmitteln und Munition versah. Den nämlichen Tag (30. Juli) ging die ligistische Reiterei bei Höxter durch die Weser, während das Fußvolk und die Artillerie über eine Schiffbrücke marschierten, welche der General während der Besprechung mit dem Magistrate der Stadt hatte herstellen lassen. Am folgenden Tag erreichte die katholische Armee Horn, wo sie sich mit Anholt vereinigte, und dann ihren Marsch auf sehr verdorbenen Wegen nach Halle, in der Grafschaft Ravensberg nahm. Christian, vor ihr fliehend, hatte das Bisthum Osnabrück erreicht, wo er drei Tage mit Brandschatzen und Warten auf Nachrichten von Mansfeld verlor. Diese Nachrichten waren ohne Zweifel nicht günstig, da der Administrator, statt den Weg nach Ostfriesland einzuschlagen, wie man allgemein erwartete und Tilly befürchtete, sich plötzlich nach Westen wendete und in das Bisthum Münster fiel.“ Antoine C. Hennequin de Villermont : Tilly oder der dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1632, Schaffhausen 1860, S. 205.
[5] Schreiben Christians vom 22 Juli/1. August 1623, Original im Domkapitel-Archiv zu Osnabrück 231. Zitiert nach Onno Klopp: Tilly im Dreißigjährihen Kriege, Stuttgart 1861, S. 194: darin genannt 75 000 Pfund Brot, vgl. E.W. Stüve: Geschichte der Stadt Osnabrück aus Urkunden, S. 119, darin genannt 100 000 Pfund und 400 Fässer Bier. (Nach dem Theatrum Europaeum S. 746 f. und der Continuatio semestralis (1623) 88, sandte die Hauptstadt 50 000 Pfund Brot und 50 Tonnen ins Lager).
[6] Halle bestand damals aus 64 Häusern. Die Kirchhofsburg bildeten 15 Wohnhäuser, einige Speicher adliger Familien und eine 1612 erbaute neue Schule. Die Kirchhofsmauer verband die Gebäude zu einer Art Festung. Darin lagen der Begräbnisplatz (der heutige Kirchplatz) und die St. Johanniskirche . Vgl. Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Osnabrück, Rep 350 Ibg, Nr. 2614 (Recherche durch Wolfgang Schindler).
[7] Diese Kriegssteuern richteten sich nach dem „Viehschatz“. Wer viel Vieh besaß, vielleicht sogar Pferde, bezahlte hohe Steuern, wer wenig Vieh besaß, wurde entsprechend geschont.
[8] Leopold Schütte: Der Dreißigjährige Krieg und der Alltag in Westfalen, Münster 2000, hier: Ermittlungen nach der Plünderung der Kirche zu Halle durch schwedische Reiter, S. 69.