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Gerichtslinde

Gerichtslinde

Gerichtslinde in Melle-Buer | 2015
Haller ZeitRäume

„Ein wahrhaft ungeheurer Baum…“ muss die Haller Gerichtslinde gewesen sein. Sie stand mitten auf dem heutigen Lindenplatz und gab Halle in Westfalen seinen hübschen Namen: „Lindenstädtchen“.

Karl der Große soll die Linde um das Jahr 800 herum selbst gepflanzt haben – so besagt es die Legende. Ob man das glauben kann? Mit Sicherheit wissen wir, was sich im Mittelalter, unter ihrer nun schon mächtigen Krone abspielte.  Und bekannt ist auch, dass die Haller 1726 etwas Entsetzliches mit ansehen mussten. Mehr darüber erfahren Sie unter…

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Details und Hintergründe

Exponat: Gerichtslinde

„Ein wahrhaft ungeheurer Baum…“ - Die Haller Gerichtslinde

Wo stand die Linde, wo wurde Gericht gehalten?

Die Haller Gerichtslinde wuchs auf dem heutigen Lindenplatz – dem damaligen Marktplatz – vor dem Westtor des Kirchplatzes. Sie wird in alten Beschreibungen manchmal erwähnt.

Der Legende nach hat Karl der Große (748-814) nicht nur die Haller Kirche und den Markt gegründet, sondern auf dem Marktplatz auch die Linde eigenhändig (!) gepflanzt. Danach könnte sie bald 950 Jahre alt gewesen sein, als sie 1726 „frevlerisch vernichtet“ wurde. Möglich ist das durchaus, denn Linden können über 1000 Jahre alt werden – älter als Eichen.

 

Die Grafen von Ravensberg halten Gerichstag in Halle

Die erste Erwähnung eines Gerichtsortes in Halle stammt aus dem Jahre 1253, als die Grafen von Ravensberg das Land regierten.[1]

Eine Urkunde aus dem Jahre 1312 bezeugt, dass  im „Dorp thor Halle“ oder in „Villa Halle“ ein Freigericht gehalten wurde. Graf Otto von Ravensberg hatte den Vorsitz. Die Verhandlungen fanden „sub tylia“ statt, also „unter der Linde“.[2] Vor dem Freigericht kamen weniger schwere Verbrechen zur Anklage. Es wurden recht unterschiedliche Strafen verhängt, wie Gertrud Angermann für die Zeit um 1500 zeigt: „Die erzieherisch gedachte Strafe des Am-Pranger-Stehens war am wenigsten schmerzhaft, aber doch ungern erlitten. Mit dem Auspeitschen war man offenbar schnell bei der Hand. Am häufigsten waren Geldstrafen verschiedener Höhe[3] – sie dienten als Einnahmequelle. Gefängnisstrafen kamen selten vor, leichter durchzuführen waren Landesverweise. Nicht belegt sind Verstümmelungen, etwa von Fingern und Zunge.

Der Konsolstein zeigt Hermann von Ravensberg, auf seinem Schild das Familienwappen. Foto: Gerd Renda, Historisches Museum Bielefeld.

Das hohe Gogericht

Ab 1653 tagte in Halle mehrmals im Jahr ein Gogericht (etwa Gau-/Land-Gericht) ― zum Nachteil der Stadt Versmold, wo es zuvor bestanden hatte. Gogerichte waren die höchste von sieben Gerichtsformen.[4]  Der Gograf war der Leiter des Gogerichts, aber selbst kein Richter, sondern ein vom Landesherrn eingesetzter beamteter Jurist. Seine Aufgabe war es, die  Kontrolle über die Verfahren auszuüben:  Er sorgte also dafür, dass die Gerichtsgemeinde, der „Umstand“, bei Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz verfuhr. Das Amt des Gografen wurde manchmal vom Vater auf den Sohn „vererbt“.

Prominentester Haller Gograf war Hermann Adolf Meinders (1665-1730).  Sein früh verstorbener Vater, Dr. Conrad Meinders, war auch schon Gograf im Amte Ravensberg. Die Familie wohnte zu jener Zeit auf Schloss Steinhausen[5]. Hermann Adolf Meinders musste erleben, dass der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1719 die hiesigen Gogerichte (Herford, Bielefeld und Halle) aus Kostengründen aufhob. Meinders verlor sein Amt.

Später gab es sogenannte Wibboldgerichte (Wibbold, Wigbold oder Weichbild = Kleinstadt mit besonderen Rechten und Steuerpflichten) in Halle, Borgholzhausen, Werther und Schildesche.

Hermann Adolph Meinders (1665-1730)

Hermann Adolph Meinders auf einem zeitgenössischen Gemälde. Leihgabe aus Privatbesitz.

Wie sah sie aus, die „ungeheure“ Linde?

Der Bergkirchener Pastor Redeker hat 1831 zur Haller Gerichtslinde folgendes gesagt:

„Noch vor 100 Jahren hat hier mitten auf dem Markte eine wahrhaft ungeheure Linde gestanden. Sie ist rings umher mit einer Mauer umgeben gewesen, welche acht Seiten und an jeder Seite einen Eingang gehabt hat. Auf dieser Mauer haben die weit ausgebreiteten Zweige geruht, und oben über den Zweigen waren Sitze angebracht und sind Versammlungen gehalten worden. Im Jahre 1726 den 21. Julius hat sie einem Neubau weichen müssen und ist ausgerottet.“[6]

 Dieser Text hat so oder ähnlich häufiger in Publikationen gestanden. „Noch vor 100 Jahren…“ sollte man nicht zu wörtlich nehmen – von 1726 bis 1831 sind natürlich mehr als 100 Jahre vergangen.

 

Die „barbarische Tat“

Wie es geschehen konnte, dass die Haller Gerichtslinde durch den Steinhagener Ludolf Ordelheyde 1726 grundlos gefällt wurde, ließ sich später kaum noch klären. Ein Gebäude wurde, wie angeblich beabsichtigt, an diesem Platz nie errichtet.

Für den in Ravensberg hoch geachteten Gelehrten und ehemaligen Gografen Hermann Adolph Meinders, war das Fällen der ehrwürdigen Gerichtslinde ein ernüchterndes Zeichen für den Verlust der alten bürgerlichen Freiheit, die das germanische Volksrecht den Menschen in der Grafschaft Ravensberg garantiert hatte. Die restlichen vier Jahre nach dem Fall der Linde verbrachte Meinders als gebrochener Mann auf dem Meinders Hof an der Bahnhofstraße, wo heute das Rathaus I steht.

Meinders, dessen eigentliche Passion die Geschichtsschreibung war, holte nur einmal noch seine Feder hervor für diese Elegie:

Hier, wo Du staunenden Auges, ein Denkmal früherer Zeiten, Rest des Urbaumes siehst, hemme, o Wanderer, den Schritt.

Als einst Karl der Große hier einen heiligen Tempel gründete, hielt er den Ort herrlicher Ehre für wert.

Denn, so heißt es, mit eigener Hand hat er rings um den Haller Markt hier Bäume gepflanzt, Satzung dem Orte erteilt.

Nun sank nieder der Baum, der letzte, den so viel Jahrhunderte hatten gehütet, von Bürgerhand schnöde gefällt.

Spätere Zeiten verdammen mit Recht die barbarische Tat wohl und beklagen beschämt mit uns den Schaden des Ortes.

Klaget, ihr Greise, ihr Jünglinge, klagt! Klagt Knaben und Mädchen, Halles Schmuck und Zier ist nun auf immer dahin.

Hin ist die Linde, gepflanzt in unvordenklichen Zeiten, die manch peinlich Gericht unserer Väter gesehen!

Hin ist die Linde, bei der so gern sich die Alten versammelt, froh sich die Jugend erging, Ruhe die Männer gesucht!

Wie mit den Sitten der Vorzeit, zugleich manch würdiges Denkmal hinsinkt, so ist auch nichts auf der Welt von Bestand.[7]

…so wie die Dorflinde in Erdmannrode kann auch die Haller Linde ausgesehen haben. Foto: Klaus Heinemann (www.baumkunde.de)

„Wie die Halle ihrer Linde beraubet worden “

Auch der Haller Schulrektor Johann Friedrich Knopff (1689-1748) versuchte, der Gerichtslinde ein schriftliches Denkmal zu setzten und rückblickend zu verstehen, wie es zu ihrem Ende hat kommen können:

„Die Halle hat eine schöne gespaltene und mit einer ziemlich hoch aufgeführten Mauer umgebene und nahe vor der Schule[8] gestandene Linde, wo jetzt unsere Fontaine sich befindet, gehabt: welche wegen ihres Alters, Größe und Schönheit weit und breit berühmt gewesen und von fremden Passagiers, wenn sie dieselbe in ihrem Flor gesehen, sehr admiriret worden:

selbige aber ist den 21.ten Junii 1726 von Ludolph Ordelheyden, bürtig aus dem Steinhagen, destruiret und niedergehauen. Dieser Ordenheyde ist vor einigen Jahren auß gedachtem Steinhagen, nachdem er daselbst seine erlernte Schmiede=profession cassiret, in die Halle gezogen und hat angefangen mit Backen und Brauen seine Nahrung zu suchen. Wie derselbe sich nun in den Sinn kommen laßen, selbsten ein neues Wohnhauß aufzubauen, hat er bey der Königl. Kammer zu Minden Ansuchung gethan, daß ihm darzu der Linde Platz angewiesen werden möchte, in welchem Gesuch er auch soweit reussiret, daß ihm die permission ertheilet, die Linde umhauen, und ein Hauß auf den Platz setzen zu laßen. Da sich aber verschiedene der vornehmsten Bürger, im Namen der gantzen Gemeine dargegen opponiret; so ist gedachter Bau nicht vor sich gegangen, gleichwoll aber die schöne Linde ruiniret worden, wovon der H. (?) Rath und Gohgraffe Hermann Adolph Meinders nachgesetztes Epigramma damahlen verfertiget.“[9]

Dieses Epigramm war oben bereits zu lesen.

Was von der alten Gerichtslinde blieb, ist der Name ihres ehemaligen Standortes nahe dem heutigen Amtsgericht, Bahnhofstraße/Ecke Lange Straße (B 68). Die Haller nennen ihn Lindenplatz.

Überlegen Sie mal, in welchen Haller Namen finden sich weitere Sprößlinge der „Linde“? Da ist das Linden…, die Linden… und es gab auch mal einen Lindenbrunnen. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Recherche: Willy Freese und Wolfgang Kosubek

Text: Wolfgang Kosubek 2015 , ergänzt durch Dr. Katja Kosubek  2021.

Auch die Dorflinde in Erdmannrode ist von einer Mauer umgeben. Foto: Klaus Heinemann (www.baumkunde.de)

[1] Hoecken, Karl: Kreis Halle; in: Rave, Wilhelm [Hg.]: Kunstführer des westfälischen Heimatbundes, Nr. 32, Münster 1950, S. 8.

[2] Frederking, Christian: Von der Jägersiedlung bis zur Verleihung der Stadtrechte, in: Westfälische Zeitung vom 19. Oktober 1929, Sonderbeilage „Halle i.W.“.

[3] Angermann, Gertrud: Volksleben im Nordosten Westfalens zu Beginn der Neuzeit, Münster/New York 1995, S. 71.

[4] Mehr dazu: Angermann, S. 21 f. sowie S. 71f.

[5] Schloss Steinhausen befand sich westlich von Halle. Der Steinhauser Weg, zwischen der Arrode und dem geländer der Firma Storck, erinnert daran.

[6] Nach den Aufzeichnungen von Christian Frederking (1860-1945), der von 1898 bis 1922 Rektor der Höheren Privatschule war.

[7] Es handelt sich um das Klagelied, das H.A. Meinders zum Fall der Linde in lateinischer Sprache schrieb. Übersetzung Wortmann, in: Meise, Heinrich: Die Stadt Halle in Westfalen, Halle/Westfalen 1968, S. 45ff.

[8] Gemeint ist die alte Schule von 1671 am Nordwesttor des Kirchplatzes.

[9] Tagebuch Knopff, transkribiert von Christian Frederking. Stadtarchiv Halle (Westf.), Nachlass Frederking.