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Ausstellung Hochhäuser am Sandkamp

Hochhäuser am Sandkamp

Beton, Kalksandstein, Glas, Holz, Asbest... | Baubeginn 1971
Leihgabe der Stadt Halle/Westfalen

Ein modernes Wohnprojekt entstand 1971 am Haller Ortseingang, zwei weiß-blaue Hochhäuser mit allem Komfort. Die frühen 1970er Jahre waren geprägt von einem ungebremsten Fortschrittsglauben. Jede Stadt, die etwas auf sich hielt, baute mindestens ein Hochhaus. Der „Sandkamp“ bot jungen Familien einen Spielplatz, Zentalheizung und Aufzug. Nur mit der sozialen Harmonie gab es alsbald Probleme.

Hören Sie, was zwei Freundinnen – beide Sandkamp-Kinder – aus den frühen Jahren erzählen…

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Details und Hintergründe

Exponat: Hochhäuser am Sandkamp

Modernes Wohnen schreibt Geschichte

Die Hochhäuser am Sandkamp

Jeden Tag fahren Tausende von Fahrzeugen an den blau-weißen Hochhäusern vorbei, doch immer weniger Menschen, die dabei einen beiläufigen Blick auf sie werfen, können mit dieser „städtebaulichen Dominante“ etwas anfangen. Was sind das für erkennbar verrottende, menschenleere und irgendwie deplatziert wirkende Bauwerke, hier am Einfallstor zur Lindenstadt?

Bei genauerem Nachforschen findet sich ein interessantes Kapitel aus der Haller Nachkriegsgeschichte: der Versuch, modernes Wohnen auch in der Kleinstadt zu etablie-ren, ein frühes Wohnprojekt, ein, wenn auch heute unschöner, Meilenstein der Stadtentwicklung.

 

Der gesellschaftlich-historische Kontext

„Die frühen 70er Jahre waren in ganz Deutschland geprägt von einem ungebremsten Fortschrittsglauben [….]. Jede Stadt, die etwas auf sich hielt, baute mindestens ein Hochhaus“[1]. In Köln am Rhein entstand zum Beispiel 1970 das höchste Wohnhochhaus Europas mit 137 Metern Höhe und 46 Wohngeschossen.[2]

Fortschritt im Wohnungsbau tat auch dringend not, denn wie das Haller Kreisblatt im Januar 1971 unter dem Titel „Häuschen mit Herz“ veröffentlichte, hatten entsprechend einer Erhebung des statistischen Landesamtes von 1968 von 19940 Wohnungen im Kreis Halle (Westf.) nur 15452 ein eigenes WC in der Wohnung. Im Umkehrschluss: Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges tapsten tagsüber wie auch in der Nacht die Bewohner von fast 5000 Wohnungen im Kreis Halle auf den Hof oder in die Zwischenetage im Hausflur, wenn die Natur nach ihrem Recht verlangte… Alternativ wurde wie schon im Mittelalter der Nachttopf genutzt.

Die quantitative wie auch die qualitative Wohnsituation der 1960er und 1970er Jahre war also angespannt. Die Bevölkerungszahl im Kreis Halle hatte sich 15 Jahren auf 73019 Personen erhöht[3], die Wohndichte betrug 3,3 Personen je Wohnung.[4] Wohnen war Thema, die Ausstellung „Zeitgemäßes Bauen“ wanderte Anfang 1970 durch den Kreis und weckte laut Halle Kreisblatt „Wohnwünsche“.[5] Und so wurde gebaut, was das Zeug hielt: „In den 60er Jahren haben wir Nachtschichten zur Bearbeitung der vielen Bau–und Wohnungsanträge gemacht“ erinnert sich Lothar Breiter, langjähriger Mitarbeiter der Kreiswohnstättengenossenschaft (KWG).[6] Bereits 1969 verzeichnete der Kreis 589 neue Unterkünfte, darunter 153 Einfamilienhäuser.[7]

Das Haus Sandkamp 25 in Halle/Westfalen - einst Vorzeigeobjekt für modernes Wohnen - als Ruine im Jahr 2017.

Die Sandkamphochhäuser im Morgenlicht 2016 - eine ausgezeichnete Lage unmittelbar am Teutoburger Wald mit bester Verkehrsanbindung. Foto: Ulrich Fälker.

Idee, Konzept und Vorplanungszeit

Geschlossene, heute bereits in der Vorplanung von Bauprojekten übliche, umfängliche Stadt– und Quartiersentwicklungskonzepte zum Thema Sandkamp liegen zumindest in den Unterlagen des damaligen Bauherren, der KWG, nicht mehr vor. Umfassendere Konzepte über die eigentliche Bauplanung hinaus hat es möglicherweise auch nie gegeben, die Archivsuche hat hier bisher nichts ans Licht gebracht.

In den 60er Jahren stand eher die Ökonomie im Vordergrund“ berichtet unser Zeitzeuge, „Es wurde technischer gedacht, daher sind wohl keine Konzeptunterlagen erhalten“. Klar war: „Man wollte auf kleiner Fläche bauen, an dieser exponierten Stelle, damals als Tor zu Halle, als Aushängeschild der Stadt“ [8].

Und so heißt es dann auch in der Festschrift zum 75jährigen Jubiläum der KWG von 2011: „Die 86 Wohnungen waren im Mai 1973 — nach eben zwei Jahren Bauzeit — das Attraktivste, was man in Halle für relativ kleines Geld mieten konnte.[…] Hier sollen Alt und Jung, Singles und Großfamilien nebeneinander leben.“. Im zweiten Satz klingt dann doch noch ein klein wenig ein eher moderner, konzeptioneller Gedanke an: die Idee vom gemeinsamen Wohnen. Eine Idee, die auch heute durchaus aktuell anmutet, wenn man an moderne Stichworte „Mehrgenerationen–Wohnen“ oder „Wohnprojekt“ denkt.

Der Projektbeginn wurde 1971 der interessierten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Das Haller Kreisblatt berichtete im April erstmals von den „Punkthochhäusern“, die am Ortseingang von Halle gebaut werden und durch die „die Einförmigkeit der Bebauung zwischen Stadtkern und Stadtrand aufgelockert und die Ortseinfahrt stärker betont werden soll“[9]. Weitere  Angaben werden hier zunächst nicht gemacht, Wohnungsbau ist zu dieser Zeit Selbstzweck, niemand fragt nach umfassenderen Konzepten oder städtebaulichen Überlegungen.

 

Inwieweit wurde gefördert?

Auf Grund des erheblichen Allgemein-interesses am Wohnungsbau unterstützte die Stadt Halle das Sandkamp-Projekt insbesondere auch finanziell.

„Einem Antrag der Kreiswohnstättengenossenschaft Halle auf Gewährung eines Darlehens in Höhe von 500.000 DM für die Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 86 Wohnungen wurde von der Stadtvertretung Halle entsprochen“[10]. Die Darlehensgewährung erfolgte zinsfrei, man beschloss jedoch optimistisch, „Zinsen zu entrichten, wenn die Wirtschaftlichkeit bei Erhebung von zulässigen und zumutbaren Mieten eine Verzinsung zulässt“.

Die Stadt erlangte durch diese Fördermaßnahme ein Belegungsrecht für die neuen Wohnungen. Dieses wurde auch genutzt, was die Steuerung der Mietermischung später zeitweise wohl sehr erschwerte[11] und das Erreichen des ursprünglichen Zieles einer guten „Durchmischung“ nicht einfacher machte. Im Juli berichtete das Haller Kreisblatt dann, dass mit der Errichtung des insgesamt 6 Millionen Mark teuren Bauprojektes begonnen werden konnte, denn auch der Bewilligungsbescheid in Höhe von 1,4 Millionen Mark für öffentliche Mittel lag nun vor.[12] Nach der am 11.11.1971 erteilten Baugenehmigung konnte es losgehen.

 

Der Bau

In der Bauzeit von  1971 bis 1973 wurden auf einer Fläche von insgesamt 10.282 qm neben den beiden Hochhäusern auch etwa 30 Wohnungen in ein– bis dreigeschossigen Miethäusern errichtet. Der Zeitzeuge Herr Breiter erinnert sich an eine zunächst äußerst schwierige Unterkonstruktion nach Erstellung eines Bodengutachtens: „Es war eine aufwändige Tiefengründung mit Schotterpfählen notwendig“[13].

Letztlich wurden von einer Spezialfirma 344 Pfähle von 1,5 – 4 Metern Tiefe  angelegt, um eine ausreichende Standsicherheit auf dem schwierigen Haller Grund zu erreichen. Die in offener Bauweise geplanten 86 Mietwohnungen (Haus Nr. 25; 6 Geschosse, Haus Nr. 27: 8 Geschosse) wurden dann auf diesem sicherem Grund errichtet.

 

Modernes Wohnen

Die Häuser boten einen für die damalige Zeit äußerst modernen Standard: Ferngasheizung, Personenaufzug und Müllabwurfanlage kamen allen Mietern zugute. Jede Wohnung hatte einen Kellerraum, eine Loggia oder Balkon und war mit Holz–Doppelglasfenstern ausgestattet. In der Küche warteten der Speiseschrank, Einbauküchenmöbel und eine Nirosta–Spüle mit Unterschrank auf moderne Hausfrauen und -männer. Das Bad mit Waschtisch, Einbauwanne, WC und Spülkasten boten einen hohen Hygienestandard. Die Klingelanlage mit Haustüröffner und Tür–Sprechanlage verschaffte ein angemessenes Hochhaus–Gefühl. Zur Nutzung aller Bewohner standen schließlich im Keller die Waschküche mit Waschautomaten, ein Wäschetrockenraum, dazu ein Fahrradabstellraum und Kinderwagenplätze bereit. Das Familienauto fand auch noch Platz, es entstand eine Tiefgarage mit 34 Parkplätzen sowie ein offenes Parkdeck mit 35 Parkplätzen. Die Außenanlage wurde mit Platten, Grünanlagen und Sträuchern im Geist der siebziger Jahre verschönert, ein Kinderspielplatz mit Spielgeräten und ein Bolzplatz warteten auf die noch zahlreichen Kinder.[14] Und als Sahnehäubchen thronten zwei Penthaus-wohnungen auf dem niedrigeren Bau.

Die KWG schuf bezahlbaren Wohnraum für Familien. Die Miete wurde noch in Deutscher Mark (DM) gezahlt - allerdings nicht mehr in bar.

Die Menschen und das Alltagsleben ab 1973

„Wir waren stolz darauf, das Wohnen der Zukunft als Erste miterleben zu dürfen.“ So lautete das Statement einer jungen Familie, die zuvor in einer beengten Wohnung in einem feuchten Fachwerkhaus am Kirchplatz gelebt hatte. Die Gäste staunten. Die Kinder spielten draußen, während Mutti aus dem Küchenfenster herabsehen konnte. Das eher enge Zusammenleben führte dennoch auch zu ersten Konflikten, wie das Westfalen-Blatt am 29.09.1973 berichtete: „Hausbewohner beschwerten sich allerdings über die vielen Kinder, durch die das Treppenhaus nie sauber bleibt…“. Aber das Miteinander schien anfänglich doch zu funktionieren, die Zeitung zitiert auch einen 85jährigen Herrn W., „…der es schön findet, Kinder und Leben um sich zu haben“. Der alte Herr kochte, wusch und putzte nicht nur seine Wohnung, sondern — wie alle Hausbewohner — auch das Treppenhaus, wenn die „Flurwoche“ dran war.

Die Sandkampkinder fanden immer jemanden zum Spielen. Der Spielplatz, das Gelände mit seinen Versteckmöglichkeiten und der nahegelegene Wald wurden nachmittags von ihnen erobert. Angst machten dagegen der verzweigte Keller, das gelegentliche „Steckenbleiben“ im Aufzug, ein mürrischer Hausmeister oder ältere Kinder und Jugendliche, die die jüngeren drangsalierten.

Im Laufe der Zeit wurde das Leben für Kinder und Jugendliche im Schatten der Hochäuser durch viele Faktoren immer schwieriger. Soziale Isolierung der „Hochhauskinder“, Ausgrenzung und Sprach- sowie Kulturbarrieren bereiteten Eltern und offiziell Verantwortlichen immer wieder Sorgen. Erst 1996, in der Endphase des Projektes, machte man mit der Errichtung einer Außenstelle des Jugendzentrums (im Fahrrad– und Müllsammelraum der Anlage) den Versuch, die Zustände zu verbessern. Ein Kinderprogramm und Hausaufgabenhilfen wurden geplant.[15] Zu möglichen Effekten dieser Maßnahmen ist nichts bekannt.

 

Das Scheitern

Ein Zeitzeuge berichtet von mehreren „Wellen“ von Mietern, die seit der Inbetriebnahme 1973 die Hochäuser bewohnten. Waren die ersten 5-10 Jahre noch geprägt durch eine konstante, bunte soziale Mischung vom Angestellten bis zum Arbeitssuchenden, so kam es im weiteren Verlauf zu immer schnelleren Mieterwechseln. Wer konnte, nutze den Sandkamp als Sprungbrett auf dem Weg zum Eigenheim. „Die jungen Familien zogen nach und nach aus — mit stark wachsendem Einkommen war es immer mehr Familien möglich, ein eigenes Haus zu bauen. Singles und Alte blieben, Gastarbeiter und sozial schwache Familien rückten nach.“[16]

Bereits im Oktober 1982 titelte das Haller Kreisblatt: „Jede vierte Wohnung steht leer!“[17]. Der Zeit entsprechend machten fehlende Gardinen auf die Leerstände aufmerksam, die für die KWG auch einen erheblichen Mietausfall bedeuteten. Als Ursachen wurden von den befragten Bewohnern ganz unterschiedliche Gründe angeführt, diese reichten von den erheblichen Heizkosten über einen hohen Ausländeranteil bis hin zur mangelnden Kinderfreundlichkeit. Der anfangs so gepriesene Komfort sank; so bedingte die zu dieser Zeit eingeführte Mülltrennung die Schließung der doch so modernen Müllschluckeranlage.[18] Auch den Mietern selbst fiel das „ständige Kommen und Gehen“ zunehmend auf.  Helmut Bismayer, damals Vorstandsvorsitzender der KWG, sah das Problem im Wandel der Mieterwünsche: „Heute möchte jeder am liebsten in einem Kotten am Waldrand wohnen“. Derweil liefen zusätzlich noch staatliche Förderungen aus. Auf einer Vorstandssitzung der KWG im Dezember 1983 wurde als Folge ein weiterer Anstieg der Mieten festgestellt. Wirkliche Lösungen waren damals schon nicht in Sicht, der Vorstand „…hofft, dass sich die Leute in ihren Einstellungen ändern und die modernen Wohnungen über den Wolken der Stadt lieber als bisher annehmen“[19].

Davon unbeeindruckt eskalierte die Situation den der Wohnanlage weiter: „Wieder Feuer im Sandkamp 27: diesmal zündete jemand in der Nacht […] Fußmatten an.“ Zudem beschreibt der Artikel des Haller Kreisblattes eine Festnahme und berichtet vom „Kampf“ der Bewohner untereinander, der auch immer wieder zum Anzünden von Gegenständen führe.[20] Schlagzeilen wie „Brandanschlag im 5. Stock des Haller Hochauses“ blieben der Lindenstadt fortan erhalten.[21]Aus alltäglichem Ärger zwischen den Mietparteien entstanden immer mehr Streit und Vandalismus.[22].

„So half auch das große Hausfest des Jahres 1983 nicht mehr, das Klima zu verbessern. Die sozialen Unterschiede waren zu groß.[23]. Die Häuser am Sandkamp blieben „die Sorgenkinder der KWG“ über viele Jahre. Die Anlage kam nicht zur Ruhe, sie tauchte in den den folgenden Jahren immer wieder mit Negativschlagzeilen in den Medien auf.

Sandkamp-Kinder 1975. Der Spielplatz lag zentral zwischen in Häusern, immer im Blickfeld. Foto: Wolfgang Kosubek.

Sandkampkinder 1975. Der Spielplatz lag sonnig und geschützt zwischen den Häusern. Die Eltern hatten ihre Kinder vom Balkon aus im Blick. Foto: Wolfgang Kosubek.

Rettung durch Verkauf

Am 28. Mai 1996 wurde von der KWG letztlich der Beschluss gefasst, die Häuser zu verkaufen, der notarielle Vertrag erfolgte im August 1996. Doch im Verlauf der ausklingenden 1990er Jahre ging es auch unter den neuen privaten Eigentümern bergab. Es war schließlich aus hochfliegenden Plänen aus ganz unterschiedlichen Gründen ein sozialer Brennpunkt entstanden, den die Haller zunehmend mit Gedanken an soziale Kälte, Gewalt, Verwahrlosung und Ungeziefer verbanden.

Am 24. Oktober 2007 zogen dann endgültig die letzten Bewohner, ein älteres Ehepaar, aus. Frühmorgens um 7 Uhr erfolgte unter polizeilicher und ordnungsamtlicher Beteiligung die Räumung, die Bewohner wurden in eine Übergangswohnung verbracht. „Die Stadtverwaltung Halle hatte […] die Notbremse gezogen, als vor dem Hintergrund unbezahlter Energierechnungen im Höhe von 300.000 Euro die TWO Gas, Wasser und Strom sperrten“[24]. Die Eingangsbereiche wurden mit Stahlstützen gesichert, Panzerketten angelegt, die Fenster mit Spanplatten verschraubt und die Kellerfenster von innen verschweißt. Wer nun das Haus betrat, musste mit Strafverfolgung wegen Hausfriedensbruch rechnen.

„Einst als städtebauliche Dominante gefeiert, hat sich das Objekt Sandkamp 25 und 27 zu einem städtebaulichen Problem entwickelt“[25] bilanzierte die Lokalpresse. Die Anlage fiel nun in einen fast 10 Jahre andauernden Dornröschenschlaf. Nur selten wurde sie noch zum Gesprächsthema, wenn beispielsweise Kabeldiebe in die Gebäude eindrangen oder wiederholter Vandalismus die Häuser immer weiter verunstaltete.[26]

 

Gegenwart & Zukunft

­­­­„86 Mietwohnungen sind vernagelt. Und viele Haller warten darauf, dass sich eine Lösung findet, wie die Hochhäuser — einst Sinnbild ungebremsten Fortschrittsglaubens — morgen aus dem Stadtbild getilgt werden können.“[27]

So endet die Ära Sandkamp in der Chronik der KWG.

Die Haller und die Zaungäste auf der B 68 mussten noch lange auf eine Lösung warten. Erst im Jahr 2016 kam wieder Bewegung in die wechselvolle Geschichte der Hochhäuser.

 

In Verbindung mit einer Neuregelung des § 179 des Baugesetzbuches konnte die Stadt nun aktiv werden und den Abriss der Häuser vorantreiben. Durch Beschluss des Haupt– und Finanzausschusses galt ein neuer Bebauungsplan, der eine geringere Geschossigkeit auf der Fläche festlegt. Damit entsprach die Immobilie nicht mehr den aktuellen Richtlinien, eine Beseitigung wurde wahrscheinlicher, zumal eine Modernisierung kaum mehr möglich schien, so dass deshalb auch der Rückbauparagraf zum Tragen käme.[28] Bei unverändert schwierigen Eigentumsverhältnissen hofft die Stadt aktuell, im Frühjahr 2016, auf „einsichtige Eigentümer“[29].

Eine Anwaltskanzlei wird mit Vorgesprächen mit den derzeitigen Besitzern betraut, Gutachter dokumentieren die aktuellen Mißstände als Grundlage für den Abriss nach neuer Gesetzeslage. Die Eigentümer müssen mühsam ermittelt werden, die vorbereitenden Prozesse nahmen das ganze Jahr 2016 in Anspruch. Die Abrisskosten hat die Stadt auf etwa 675.000 € taxieren lassen.[30]  Der Abbruch sollte 2017 stattfinden, wurde dann aber auf 2018 verschoben. Danach ist der Verkauf der abgeräumten Grundstücke möglich, von dem wiederum die Eigentümer profitieren könnten, denn eine erneute Wohnbebauung ist vorgesehen. Wenn jedoch vor dem Verwaltungsgericht geklagt wird, folgt möglicherweise ein weiteres Jahr Stillstand.

Noch ist die Geschichte der Hochhäuser am Sandkamp also nicht — Geschichte. Doch ein umfängliches und vielschichtiges Lehrstück zur Stadt– und Wohnungsbauentwicklung stellt die dann wohl 47jährige Ära Sandkamp schon jetzt dar.

Stefan Plogmann im April 2016 (aktualisiert im Januar 2018)

Ein Lost Place am Ortseingang. Das Hochhaus Sandkamp 25 als Ruine im Frühjahr 2016. Foto: Wolfgang Kosubek.

Früher erfüllten sich hier "Wohnwünsche" (Komfort, Natur, Anbindung an Bus und Bundesstraße), heute ist es ein "Lost Place" am Ortsrand - das Hochhaus Sandkamp 25 als Ruine im Februar 2016. Foto: Wolfgang Kosubek.

 

[1]    Kreiswohnstättengenossenschaft Halle ( Westf.) eG, Festschrift 75 Jahre KWG 1936 – 2011,  Halle/Westfalen 2011, S. 38f.

[2]    Haller Kreisblatt vom 26.11.1970: „Das höchste Wohnhaus Europas entsteht am Rhein in Köln“.

 

[3]    Haller Kreisblatt vom 05.03.1970: „Bevölkerungszahl Kreis Halle  erhöht sich in 15 Jahren auf 73019 Personen“.

[4]    Haller Kreisblatt vom 12.03. 1970: „Ausstellung ‚Zeitgemäßes Bauen‘ gibt Überblick über Wohnwünsche“.

[5]    Ebd.

[6]    Gespräch mit der Geschäftsführung der KGW, vertreten durch Herrn Eisele sowie mit Herrn Breiter, Mitarbeiter und unmittelbarer Baubegleiter, am 24.02.2016.

[7]    Haller Kreisblatt vom 03.10.1970: Wohndichte hat wieder zugenommen, 3,3 Personen je Wohnung, Faustformel soz. WB gegenüber frei finanziertem Wohnraum: etwa 50 : 50.

[8]    Gespräch mit Herrn Breiter, Mitarbeiter der KWG und unmittelbarer Baubegleiter, am 24.02.2016.

 

[9]  Haller Kreisblatt vom 10.04.1971: „Punkthäuser mit 8 und 6 Geschossen werden am Ortseingang Halle gebaut“.

[10]  Haller Kreisblatt vom 13.08.1971: „Stadt Halle fördert Mietwohnungsbau“.

[11] Gespräch mit der Geschäftsführung der KGW, vertreten durch Herrn Eisele sowie mit Herrn Breiter, Mitarbeiter und unmittelbarer Baubegleiter, am 24.02.2016.

[12]  Haller Kreisblatt vom 26.07.1971: „Bewilligungsbescheid liegt vor – Projekte der KWG“.

[13] Gespräch mit Herrn Breiter, Mitarbeiter der KWG und unmittelbarer Baubegleiter, am 24.02.2016.

[14] Kreiswohnstättengenossenschaft Halle ( Westf.) eG, Festschrift 75 Jahre KWG 1936 – 2011,  Halle/Westfalen 2011, S. 20.

[15] Haller Kreisblatt vom 13.06.1996: „Sozialarbeit am Sandkamp“.

[16] Gespräch mit Herrn Breiter, Mitarbeiter der KWG und unmittelbarer Baubegleiter, am 24.02.2016.

[17] Haller Kreisblatt vom 26.10.1982: „Jede vierte Wohnung steht leer“.

[18] Gespräch mit Herrn Breiter, Mitarbeiter der KWG und unmittelbarer Baubegleiter, am 24.02.2016.

 

[19] Haller Kreisblatt vom 13.12.1983: „KWG–Vorstand berichtet über schwere Vermietbarkeit auf Grund degressiver Förderung und veränderter Ansprüche“.

[20]  Haller Kreisblatt vom 19.01.1984: „Festnahme nach Feuer im Sandkamp“.

[21]  Haller Kreisblatt vom 23.10.1984: „Matratzenbrand im 5. Stock“.

[22] Siemens, Joseph:  Chronik der Kreiswohnstättengenossenschaft Halle ( Westf.) eG 1936 – 2011, Halle/Westfalen 2011, S. 20 ff.

[23] Kreiswohnstättengenossenschaft Halle ( Westf.) eG, Festschrift 75 Jahre KWG 1936 – 2011, Halle/Westfalen 2011, S. 38/39.

 

[24]  Haller Kreisblatt vom 25.10.2007: „Letzte Familie zog aus“.

[25]  Ebd.

[26]  Radio Gütersloh im April 2010: Kabeldiebe stören Stromversorgung.

[27] Siemens, Joseph:  Chronik der Kreiswohnstättengenossenschaft Halle ( Westf.) eG 1936 – 2011, Halle/Westfalen 2011, S. 20 ff.

[28]  Haller Kreisblatt vom 08.03.2016: Hochhäuser vor dem Fall.

[29]  Westfalen-Blatt vom 09.04.2016: „Stadt hofft auf einsichtige Eigentümer“.

[30]  Ebd.