Die Schulkinder wurden im Stehen unterrichtet, die Lehrer starben an Schwindsucht. In der ältesten Haller Schule am Kirchplatz waren die Räume feucht und viel zu eng für Tische und Bänke.
Wer soll eine neue Schule bezahlen? Und ist Bildung wichtig für Kinder? Bis zum Umzug in dieses geräumige Fachwerkhaus an der Rosenstraße im Jahr 1824 tobte in Halle 25 Jahre lang ein skandalöser Schulstreit.
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Es war allen bekannt, dass der bauliche Zustand der 1661 errichteten Schule am Kirchplatz Nr.3 seit Jahren unhaltbar war. Dreihundert Kinder wurden dort täglich unterrichtet, die aus der Stadt und die aus den umliegenden zum Kirchspiel zählenden Bauerschaften.
Die Chronik bescheinigt der alten Bildungsanstalt Baufälligkeit und spricht von engen dumpfigen Stuben. Nicht nur der tüchtige Lehrer Johann Friedrich Stratemann starb 1798, dem härtesten Jahr der Leidensgeschichte, infolge des ungesunden Raumklimas an Schwindsucht (Tuberkulose); zuvor waren auch die Kollegen Arkularius, Knopff und Brune schon schwindsüchtig hingeschieden.
Ab 1799 wurde der Plan zum Erwerb eines neuen Schulhauses verfolgt und damit begann der unsägliche Schulstreit. 200 Jahre lang war das kleine Haus am Kirchplatz die einzige Haller Schule.
Die handelnden Personen
In der Stadt Halle zuständig für die Schulsache waren vom Magistrat: Bürgermeister Peter Gustav Willmanns (1806/07 Leggeinspektor, Steuereinnehmer und Postverwalter; von 1780-1826 Bürgermeister, gestorben 1829), Kaufmann Clamor Friedrich Hagedorn, Steuerkontrolleur Müller und Gastwirt Groppe. Von der Handwerkerschaft: Die Vorsteher Bohle, Reckendorf und Schedefeld.
Diese Männer wollten von Anfang an einen Schulneubau − gegen die Mehrheit der Kirchspielbevölkerung. Sie stellten von 1799-1801 nicht weniger als 12 Anträge bei der zuständigen Regierung in Minden, denn seit 1788 hatte der Staat das Recht, auch auf die Haller Schulverhältnisse nach Gutdünken einzuwirken. Das heißt, der Staat konnte die Entscheidung über Um- oder Neubau zu treffen und Einfluss auf die Ausführung nehmen.
Die Haller Honoratioren wollten die Pfarrer („die bringen doch nichts zustande“) aus der Planung heraushalten, weil diese gegen einen Neubau waren, obwohl die alte Schule ja der Kirche gehörte. Hier wird die Zeit des Wandels sichtbar: Der Übergang des Lehrens und Lernens von der christlichen auf die weltliche Ebene.
Kirchlich oder weltlich?
Das Interesse der kirchlichen Lehrer − zumeist Kantoren, die den Dienst des Küsters und des Organisten versahen und sich in der Schule ein Zubrot verdienten (was sie auch nötig hatten) − lag natürlich vor allem in der Vermittlung von christlicher Lehre. Biblische Texte, Liedtexte und Psalmen mussten die Schüler auswendig lernen und erläutern. Es wurde montags abgefragt, worüber der Pastor sonntags gepredigt hatte. Das Lesen war wichtiger als das Rechnen, welches man sich bei Bedarf aneignen konnte.
Hier beispielhaft ein Unterrichtsplan, aufgestellt von Rektor Knopff:
„Morgens Andacht, danach biblische Geschichte von Rektor Hübner, Hamburg.
Ein Knabe oder Mädchen liest vor.
Abfragen und Vermahnung.
Darauf werden vier schöne Reime gelesen oder gesungen.
Währenddessen schreibt der Rektor der anderen Klasse vor und verteilt die Schreibhefte.
Die Älteren lesen im Alten Testament, die Mittleren lesen im Neuen Testament, die Anfänger üben ABC, Katechismus, Evangelium, Psalme.“[2]
Die Mindener Regierung wollte ebenfalls ohne die Kirche planen, wohl wissend, dass es sich in Halle um keine (weltliche) Stadtschule, sondern um eine Kirchspielschule handelt, in deren Angelegenheiten die zugehörigen Bauernschaften (Ascheloh, Eggeberg, Gartnisch und Oldendorf) als Interessenten galten und angehört werden mussten.
Seit der Ravensbergischen Schulordnung von 1692 durfte es in den Bauernschaften nämlich keine sogenannten Winkel- oder Klipp-Schulen mehr geben. Alle Kinder sollten vom sechsten oder siebten Lebensjahr an bis zur Konfirmation im Kirchort an Volksschulen gleichmäßig unterrichtet werden. Wo die Schulwege unzumutbar lang waren, konnte es in Bauernschaften aber auch genehmigte „Nebenschulen“ geben.
Ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hatte allerdings noch das Ravensberger Konsitorium (evangelische Kirchenverwaltung). Dies, das kann man unterstellen, wahrte vor allem kirchliche Interessen.
Madame Hagedorn stiftet eine Schule – oder versucht es jedenfalls
Die reiche Witwe Charlotte Hagedorn erlitt 1788 einen Schlaganfall in der Kirche. Kaum nach Hause gebracht, diktierte sie ihr Testament. Darin verfügte sie, dass bei ihrem Ableben (dies geschah 1792) die Summe von 1000 Talern für den Bau einer neuen Schule mit Rektorwohnung aus ihrem Vermögen bereitgestellt werden solle. Zufällig anwesend waren an diesem Tag der Mindener Kriegs- und Domänenrat Tiemann, dessen Schwiegersohn, der in Halle geborene Brackweder Amtmann Christian Ferdinand Brune, sowie die beiden Pfarrer und der Rektor. Zum Testamentsvollstrecker wurde unter dem Einfluss der beiden Staatsbeamten nicht die Kirchengemeinde eingesetzt, sondern das Amt Ravensberg, in der Person des Pächters Amtsrat Meinders.[3]
Die Fronten sind geklärt – Bauern und Kirche gegen Bürger und Staat
Nach dem Tod Charlotte Hagedorns ordnete die Mindener Regierung und zwar die „Consistoriale Abteilung für Kirchen und Schulen“ am 2. August 1799 an: Geistliche und Rektor sollen mit dem Magistrat Vorschläge zur Erwerbung eines „bequemen“ Schulhauses einreichen. Dieses müsse Platz für drei Klassenräume und eine Rektorwohnung bieten und sei maßgeblich durch das Legat der Witwe Hagedorn zu finanzieren. Die Bauern blieben außen vor, was sich als schwerer Fehler erwies und später von König Friedrich-Wilhelm III gerügt wurde. Die Pfarrer schienen wenig Lust zu verspüren, Vorschläge zu machen. Wollten sie die Bürde des Schulwesens, die ja eine personelle und auch eine finanzielle Last war, loswerden? Ihre Position war ohnehin die der Bauern: Erhalt der alten Schule durch Reparatur. Der Stadtrat lehnte diese Position entschieden ab und schlug stattdessen Minden vor, ihn mit der Schulsache zu betrauen oder aber die Ravensberger Amtsverwaltung unter Meinders.
Minden entschied sich für die Amtsverwaltung und die setzte am 4. Oktober 1799 ihren Justitiar Lueder ein. Er solle sich, wie Regierungsrat Wermuth es ausdrückte, statt der Prediger die Erwerbung eines bequemen Schulhauses überlegen. Die Kirche ihrerseits stellte derweil auf Bitten von Kirchenprovisor A. H. Brune 175 Taler für eine dringende Reparatur in Aussicht. Zimmermeister Dodt bezeichnete dies im Gespräch mit Lueder jedoch als nicht lohnend angesichts der Baufälligkeit der Schule − eine neue Schule sei besser.
Die Suche nach einem „bequemen“ Schulhaus
Da das Schulhaus 1661 auf Kirchengrund erbaut worden war, herrschte allgemein die Auffassung vor, auch eine neue Schule sollte dort stehen. Was Lueder beflügelt haben dürfte, als das Haus des Kaufmanns Buddeberg, Kirchplatz 10, mit großem Garten jenseits der Rosenstraße, zum Verkauf stand. Er zeigte sofort Interesse, zumal das Haus für einen Umbau gut geeignet schien. Der Kaufpreis von 1500 Talern und auch die Kosten für den Umbau glaubte er aus dem Verkauf des Gartens und der alten Schule, aus den von der Kirche zugesagten 175 Talern und den 1000 Talern aus dem Hagedornschen Erbe weitgehend decken zu können. Es gab noch andere Kaufinteressenten und Lueder musste schnell entscheiden.
Der arme Amtsrat tat dies, wohl weil er an einen Glücksfall glaubte, aber offenbar ohne sich bei dem Haller Magistrat ausreichend abzusichern. Er meldete den Kauf bereits am 7. Dezember 1799 nach Minden (von wo er eine Zustimmung vermutlich als nicht erforderlich ansah) und setzte sich mit dieser riskanten Aktion zwischen alle Stühle.* Denn die Regierung in Minden und der Haller Rat präferierten ja ein neues Gebäude, die Kirche und die Bauern indes die Reparatur des Alten.
Man hatte jetzt zwei alte Häuser und noch immer keine Verbesserung der Schulverhältnisse…
Die Schulgegner – Kirche und Bauern
Der Grund, warum die Bauerschaften an der alten Schule festhielten, war allerdings nicht derselbe, wie der, der die Kirche bestimmte. Diese erlebte gerade, dass der Lehrinhalt nicht mehr von ihr allein bestimmt werden durfte − warum sollte sie sich unter diesen geänderten Voraussetzungen überhaupt für eine neue Schule einsetzen und womöglich die Baukosten mittragen? Auch war ihr an einer weiteren Nutzung ihrer baufälligen Immobilie zweifellos gelegen. Die Kirche „mauerte“ also.
Die Bauern indes fürchteten vor allem die Heranziehung zu Hand- und Spanndiensten und die zu erwartende Kostenumlage. Ihr Interesse am Schulunterricht beschränkte sich zudem wie bisher auf das Erlernen des Schreibens und Lesens. Viel mehr brauchte es in der Landwirtschaft nicht und ein bisschen Rechnen konnte den Bauernkindern auch zuhause beigebracht werden.
Die Mindener Regierung mochte Lueder, den sie ja mit gewissen Vollmachten für die Schulsache eingesetzt hatte, nun nicht im Regen stehen lassen und bestätigte mit Unterschrift des Präsidenten von Arnim bereits am 13. Dezember 1799 den Ankauf. Ähnlich verhielt sich der Magistrat, der am 5. Januar 1800 aber lediglich die Kenntnis von der Sache quittierte.
Umbau oder Neubau?
Ab Februar 1800 hätte der Umbau beginnen können, doch es schien, als wenn niemand das heiße Eisen weiter schmieden wollte. Minden beauftragte Lueder am 24. Januar 1801 zwar nun auch mit der Baudirektion, am 7. Februar 1801 jedoch also nur zwei Wochen später ersuchte die Kriegs- und Domänenkammer überraschend die ihr angeschlossene consitoriale Abteilung für Kirchen und Schulen um Auskunft, was denn eigentlich in der Haller Schulsache geschehen sei. Ohne eine Antwort abzuwarten, zog das übergeordnete weltliche Regierungsressort die Schulsache an sich und schickte ihren Landbaumeister Kloht nach Halle, damit er sich dort kundig mache. Kloht befand im Gegensatz zum Nicht-Fachmann Lueder das Buddebergsche Haus sei für einen Umbau nicht geeignet und forderte den Abbruch.
Er wollte am selben Platz ein neues Schulhaus errichten, massiv und zweistöckig. Seine Regierung billigte die Pläne und die Kosten von 1778 Thalern. Entsprechende Weisung erging am 7. Oktober 1801 „mit preußischem Schneid“ an Lueder und den Haller Magistrat. Der Bauunternehmer wurde verpflichtet, das Objekt bis zum Frühjahr 1802 bezugsfertig herzustellen.Unter Mithilfe der Bauern als „königliche
Unterthanen“. Sie sollten im Winter die nötigen Materialfuhren leisten. Kostenlos, wie es alte Pflicht sei.
Die Bauern ahnten, wer für die neue Schule aufkommen sollte mit Material und Arbeitskraft und waren einhellig dagegen. Außerdem sei sofort die Versteigerung der alten Schule zu veranlassen. Und der Abt von Iburg, der seit 1246 (bis 1803) das Patronat über die Johanniskirche besaß, wurde zu einer „Spende“ von 500 Taler genötigt. Statt seiner widersprach Kirchenprovisor Brune dieser Forderung und ließ 250 Taler anbieten.
Das strikte Vorgehen der Regierung, ohne die Kirche und die Bauern an ihren Plänen zu beteiligen, erregte die Bevölkerung derart, dass 170 Bauern Einspruch gegen den Neubau erhoben. Er sei zu teuer, man könne das Schulhaus noch 100 Jahre benutzen (es steht im Jahre
2017 nun schon 356 Jahre). Und sie machten in Halle Stimmung gegen die Bevormundung aus Minden. Die Wortführer Goedeke und Brinkmann forderten den dortigen Präsidenten auf, die auf den 20. April 1802 terminierte Versteigerung aufzuheben und die alte Schule stattdessen gründlich renovieren zu lassen.
Der Streich der schlauen Bauern
Ohne dass die Neubauplanung fortgeführt worden wäre, fand die Versteigerung wie festgesetzt statt. Auf dem Lindenflecken, dem alten Gerichtsplatz, hatten sich viele Leute eingefunden, um das spannende Ereignis mitzuerleben. Bald wurde die List der Bauern deutlich: Sie ließen andere Interessenten zwar mitbieten, erhöhten aber immer wieder. Bei 550 Talern erfolgte der Zuschlag. Ihn erhielt Bauer Goedeke, und er unterzeichnete den Vertrag mit ungelenker Hand: „Vor die gantzen gemeine Godecke.“[4]
Das war ein unglaublicher Streich: Die Bauern ersteigerten die Schule, um sie weiter benutzen zu können. Natürlich verweigerte Minden die Anerkennung. Ein eigenbehöriger Bauer sei zum Kauf nicht berechtigt.[5] Eine juristisch beglaubigte Liste mit den Unterschriften der zahlreichen Auftraggeber des Bauern Goedeke ignorierte Minden und ordnete eine neue Versteigerung an, gegen Barzahlung und mit Kostenübergang auf den Erwerber. Das jedoch verstieß gegen Sitte
und Brauch und verschärfte den Streit. Die Regierung drängte hartnäckig weiter auf Bauausführung.
Lueder indes riet angesichts des schlechten Klimas zum Aufschub bis in das Jahr 1803. Denn immerhin seien allein 650 Wagenladungen Steine zu fahren. Und das würde angesichts der vorherrschenden schweren Zeiten mit militärischer Einquartierung sehr hart fallen.
Die „Unterthanen“ erheben Protest
Am 27. Januar 1803 schlug Lueder in Minden Alarm. Goedeke und seine Gefolgsleute hätten die zweite Versteigerung so lautstark gestört, dass niemand den Mut zu einem Gebot gefunden habe. Die Renitenten hätten sich bei Hofe beschwert und sie weigerten sich nach wie vor Spanndienste zu leisten. Zwangsmaßnahmen könnten vielleicht helfen. Bedenkenträger der Mindener Regierung indes empfahlen, vorher doch lieber den Hof selbst zu befragen. Dies war dem Präsidenten aber wohl unangenehm: Er gab am 27. Juli 1803 kurz vor der Ernte (!) Anweisung an Major von Besserer, einen Unteroffizier und 12 einfache Soldaten nach Halle zu schicken, um die Bauern zur Räson zu bringen.
Die Bauern reagierten darauf unerschrocken mit weiteren Beschwerden an König Friedrich Wilhelm: Zuerst müssten ihre Eingaben beantwortet sein, außerdem könnte man während der Ernte keine Steine fahren. Das sahen die Militärs offenbar ein und sie ließen es sich elf Wochen lang auf Kosten der Bauern gut gehen. Diese wandten sich jetzt unmittelbar an ihren König und zwar durch einen Abgesandten, der ihm auf Schloss Paretz eine Bittschrift überreichte.
Am 20. September und nochmals am 14. Oktober 1803 forderte Seine Majestät daraufhin per Sonderbefehl die Regierung in Minden zur Berichterstattung auf und nahm am 20. Januar 1804 zu dem Bericht Stellung. Er machte den Beamten in Minden zum Vorwurf, an den Verhandlungen weder den Rektor, noch den Pfarrer, noch Vertreter der Dorfschaften beteiligt zu haben und empfahl eine Kommission zu bilden, die in Halle Überzeugungsarbeit bezüglich einer „neuen“ Schule leisten solle. Im Übrigen sei die Entsendung der Soldaten ohne königliche Erlaubnis erfolgt. Peinlich, peinlich…
Ein Turmbau zu Halle?
So fand denn bereits eine Woche später in Halle unter der Leitung des Ravensbergischen Schulinspektors Delius aus Heepen die erste große Sitzung der Schuldeputierten statt. Sie bewegten das Thema einen ganzen Tag lang hin und her und kamen zu der schier unglaublichen Auffassung, das Beste sei, die alte Schule abzureißen und am gleichen Platz eine neue zu errichten auf 10 x 8,5 Metern Grundfläche! Die Bauern und auch die Pastoren Bremer und Hoermann stimmten dem Vorschlag zu.
Landbaumeister Kloht indes wurde vor Entsetzen der Kragen eng. Doch er beugte sich einer entsprechenden Anordnung vom 14. November 1804 und zeichnete für das neue Schulhaus Pläne. Er selbst beschrieb das dreistöckige Monstrum als Tempel und als Taubenschlag.[6]
Im Erdgeschoss wollte man die 80 Kleinen unterbringen, in der Mitte neben der Heizung sollten 100 Schüler Platz finden und oben war ein Klassenraum – erreichbar über eine schmale Stiege – für 200 Schüler vorgesehen.
Am 2. April 1805 luden Delius und der Bielefelder Bürgermeister Ziegler die Deputation zur endgültigen Verabschiedung der Pläne in das Bielefelder Rathaus ein, auf neutralen Boden sozusagen. Das Protokoll von dieser Sitzung bezeichnet Heinrich Meise (s.o.) als „Beschämendes Zeugnis von Eigensinn und Einsichtlosigkeit.“ Vergebens hatte Ziegler auf die Bedenken von Baumeister Kloht hingewiesen und noch einmal den Umbau des Buddeberg-Hauses angeregt. Darauf antwortete die Deputation unisono, das Buddeberg-Haus gehe sie gar nichts an, man möge sie mit derartigen Vorschlägen verschonen. Durch Königliche Kabinettsordre vom 6. August 1805 stimmte König Friedrich Wilhelm um des lieben Friedens willen dem Kloht‘schen Plan widerwillig zu, rüffelte erneut die Mindener Regierung, die seiner Ansicht nach die Schuld an dem Aufruhr trug, und verfügte als Strafe für die Uneinsichtigen in Halle die überaus schmerzliche Einziehung der 1000 Taler von Witwe Hagedorn (was nicht zu rechtfertigen war) und der 250 Taler Kirchenzuschuss.
Am 22. Mai 1806 stellte die Mindener Regierung den Hallern die Rechnung für den Schulstreit aus. Sie bezog sich dabei auf den obigen Erlass aus Berlin, verschwieg dabei aber den darin enthaltenen Passus vom „fehlerhaften Verhalten“, der ihr gegolten hatte. Danach trat Lueder von seinem Amt zurück.
Und dann verursachte Napoleon Bonaparte erst einmal eine
zehnjährige Streitpause. Halle wurde Frankreich einverleibt. Die Stadt gehörte nun zur Hälfte zu Frankreich, zur Hälfte zum Königreich
Westphalen, das von Napoleons Bruder Jerôme Bonaparte und seiner Gattin Katharina regiert wurde.
Napoleons Männer ziehen ab – das Schulproblem bleibt
Wie vielleicht erinnerlich ist, beschloss nach der endgültigen Niederlage Napoleons der Wiener Kongress Ende 1815 u.a. die Schaffung der Provinz Westfalen, die in drei Regierungsbezirke unterteilt wurde, wovon einer der Regierungsbezirk Minden war, der wiederum zwölf Kreise -darunter auch der Kreis Halle – als nachrangige Verwaltungsebene hatte. Regierungskommissar von Bernuth – noch immer im Amt – forderte im Fortgang der Schulangelegenheit Bürgermeister Willmanns auf, das Thema gegenüber dem neuen Landrat Graf Schmising-Kerssenbrock, dem er die Akten zugeschickt hatte, anzusprechen. Wieder tat sich zunächst nichts.
Das änderte sich erst 1819 durch einen alarmierenden Bericht des Regierungsrats von Scheele über die katastrophalen Zustände an der Haller Schule:
„Hier werden 300 Kinder derart zusammengedrängt, dass nur 80 von ihnen schreiben lernen können. Die Luft in den überfüllten Klassenräumen ist in höchstem Maße ungesund.“[7]
Inzwischen hatte der junge Kreis Halle schon den zweiten Chef, Landrat Friedrich von der Decken, und der trat auf die Bremse. Es drängten nämlich noch weitere Projekte auf Umsetzung. So stand der Kauf einer neuen Kirchenglocke für 472 Thaler an, der Bau des neuen Pfarrhauses (der war der Kirchengemeinde schon zu Beginn des Schulstreits das wichtigste gewesen), neues Straßenpflaster und die Kriegsschuldentilgung. „Die kleine Ratsstube im Spritzenhause kann vorläufig als Klassenraum dienen“, war sein Vorschlag. Er konnte nur als schlechter Scherz gemeint sein, denn das armselige „Häusgen“ war selbst baufällig, wie Gerichtsdirektor Brune 1820 berichtet und weiter ausführt, das winzige Gefängnis sei so eng und stickig, dass sich darin schon zwei Gefangene erhängt hätten. Der Gefängnisraum befand sich nämlich gleichfalls im Spritzenhause der Feuerwehr 1823 wurde es abgerissen.
Man mag es kaum glauben, doch der am 7. August 1820 und noch einmal am 29. Juli 1821 einschließlich zweier Schulräte zusammengekommenen Schuldeputation fiel noch immer nichts besseres ein, als die alten Pläne zu verteidigen. Da half auch nicht, dass Kommerzienrat Wilhelm Kisker eine neue Idee ins Spiel brachte und als Entscheidungsanreiz sogleich 600 Taler zur Verfügung stellte: Er schlug den Ankauf des für einen Umbau ausreichend geräumigen Groppe-Hauses (es stand auf dem späteren Von-Kluck-Platz, dem heutigen Familie-Isenberg-Platz) vor. Doch erst nachdem eine gerichtliche Feststellung die Grundstücksgröße der Schule von 1661 als nicht erweiterbar festschrieb, wurde dem Ankauf zugestimmt.
Das Fachwerkhaus des geachteten Kaufmanns, Posthalters und Gastwirts Friedrich Wilhelm Groppe war groß und ansehnlich. Wenig später, am 21. Mai 1822, wurde dann endlich auch die alte Schule veräußert.
Das glückliche Ende nach 25 Jahren…
Der Umbauplan von Zimmermeister Reckmeyer (er konnte die Hörster Schule von 1823 als Reverenz vorweisen) sah die Herrichtung von drei Klassenräumen für jeweils 250, 150 und 100 Schüler vor, worin jedem Schüler 0,43 qm Platz zukam. Doch noch einmal funkten die Mindener dazwischen. Regierungsbaumeister Reimann bastelte wieder an Plänen für einen Neubau auf dem Buddeberg-Grundstück (auf dem das Haus immer noch stand) und verzögerte den Haller Umbau.
Doch dann griff der kluge Oberpräsident von Westfalen, Ludwig von Vincke, ein. Er schrieb nach einer Visite vor Ort (die eigentlich der Suche nach einem geeigneten Standort für ein ‚Irrenhaus‘ gegolten hatte) an die Regierung in Minden, den Hallern könne doch nicht aller Verstand abgesprochen werden und bat darum, den Umbauplänen für das Groppe-Haus zuzustimmen. Und nachdem die Zimmerleute auch den geforderten neuen „Sparplan“ noch vorgelegt hatten, durfte endlich angefangen werden.
Am 2. November 1824 war das Werk vollbracht und die Einweihung der mit Girlanden geschmückten Schule konnte stattfinden. Es gab eine große Feier mit Festtagsgeläut, Reden und Liedersingen und einem abschließenden Honoratiorendiner beim Gastwirt Brune in der Bahnhofstraße.
…und was hat es nun gekostet?
Die Kosten für den Umbau wurden wie folgt aufgeteilt: Halle musste 436 Thaler beisteuern, Oldendorf 226, Gartnisch 47, Eggeberg und Ascheloh 334 (!), Amshausen 83, Künsebeck 48, Kölkebeck 59, Bokel 94 und Hesseln 48. Hörste hatte seit 1823 ja ein eigenes Schulhaus bekommen und blieb somit außen vor.
Nichts ist vollkommen…
Ganz fertig war das neue Domizil indes nicht, und manch schwerwiegender Mangel blieb während der nächsten 50 Jahre (!) erhalten. Bis 1831 waren die Fenster, die Türen und der Fußboden noch nicht gestrichen, erst 1841 erhielten die Handwerker ihr letztes Geld. Was aber schlimmer war: Die Toiletten und der Schulhof befanden sich in einem Ekel erregenden Zustand, der auch daher rührte, dass nebenan ein Schlachtbetrieb im offenen Hof das Blut fließen ließ.
1872 endlich leitete Kommerzienrat Eduard Kisker das Ende der schlimmen Verhältnisse ein, indem er die störenden Gebäude zum Abbruch erwarb und das Grundstück des Metzgers Landwehr, wie auch das des Bürgers Bohle, für eine weitere Schule zur Verfügung stellte. Auf diese Weise kam Halle schließlich doch noch zu einem echten Neubau, in dem die Haller Volksschüler Ganztagsunterricht hatten und wo hinein auch die um 1836 eingerichtete „Selecta“ umzog, in der begabte Kinder auf weiterführende Bildungsanstalten (vor allem in Bielefeld) vorbereitet wurden. Die Groppe-Schule diente den Kirchspielvolksschülern als Halbtagslernort noch bis 1912. Bis dahin hatten die Bauernschaften eigene Landschulen gebaut.
Im Gegensatz zur Schule von 1661 steht das Groppehaus heute nicht mehr. Das Fachwerk kaufte damals der Maurermeister Grottendiek und verwertete dieses auf seinem Grundstück an der Alleestraße als Betriebsscheune.
Der Schulstreit von 1799 ist leidvolle Geschichte. Heute verfügt die Stadt Halle über eine vorbildliche Schullandschaft.
Wolfgang Kosubek im Juli 2017
(Erschienen in den Mitteilungen des Landeskirchlichen Archivs, Nr. 19/2009)
[1] Heinrich Meise: ‚Die Stadt Halle in Westfalen, Halle (Westf.) 1968, Seite 102ff. „Aus der Geschichte der Schule“ und Seite 124ff. „Glückliches Ende der Schulbaustreitigkeiten“.
[2] Tagebuch des Schulrektors Johann Friedrich Knopff (1689-1748), transkribiert von Rektor Christian Frederking (1860-1945), Nachlass Frederking im Stadtarchiv Halle (Westf.).
[3] Das Amt wurde „verpachtet“. Daher war der Amtmann der Pächter des Amtes.
[4] Meise: Seite 102ff sowie Seite 124ff.
[5] „Eigenbehörige“ waren nicht frei, sondern gehörten mit dem Boden, den sie beackerten zum Eigentum eines weltlichen oder kirchlichen Herrn. Eigenbehörige waren keine Sklaven oder Leibeigene sie hatten durchaus ihre Rechte, mussten aber unentgeltlich bestimmte Arbeiten für den Herrn leisten (Hand- und Spanndienste) und einen Teil ihrer Ernte abliefern. Im Unterschied dazu gab es auch freie Bauern. Die Eigenbehörigkeit in Ravensberg wurde während der französischen Besatzung (1807-1813) abgeschafft. Grundlage war Napoleons freiheitlicher „Code Civil“.
[6] Die Taubenzucht war zu dieser Zeit sehr beliebt in Preußen. Taubenschläge erhielten oft die Form eines kleinen Turmes.
[7] Meise: Seite 102ff.
* Das Buddebergsche Haus, welches Lueder geeignet schien, nach einem Umbau als Schule mit Rektorwohnung zu dienen, war beim Ankauf noch (teilweise) vermietet. Da auch 1799 schon galt: „Kauf bricht Miete nicht“, hatte Lueder ein Haus erworben, in welchem der Frisör Biermann noch zwei Jahre Wohnrecht besaß. Man suchte und fand für den Frisör zwar eine andere Bleibe, musste aber die Miete für zwei Jahre übernehmen und ihm außerdem den zum Buddebergschen Haus gehörigen Garten noch zwei Jahre lang überlassen. Garten war damals für das tägliche Brot wichtig. Und da der Anspruch des Schulrektors Pieper sowie seines Nachfolgers Heidsiek auf eine Wohnung, den zu erfüllen die Witwe Hagedorn durch ihr Legat ja beabsichtigte, schon nicht befriedigt werden konnte, hatte ihm wenigstens die Gartennutzung ermöglicht werden sollen. Was nun auch nicht gelang. In seinem Protokoll vom 9.4.1851 (sh. ‚Gerichtsbarkeit in Halle Westfalen‘) informiert E. A. Heidsieck, Direktor am Königl. Kreisgericht zu Halle, über die Versteigerung des Buddebergschen Hauses. Veranlasst von Friederike Louise Hagedorn, wodurch diese eine Spende von 500 Thalern vom Schulverein zurück zu bekommen trachtete, die dazumal von ihr für den Ankauf gestiftet, jedoch nicht bestimmungsgemäß verwendet worden waren. Den Zuschlag erhielt der Schreiner und Kirchdiener H. W. Brinkmann für 800 Taler. Der obige Nachtrag enthält Auszüge aus Schwagers „Über Halle, ein lachendes Städtchen…“von 1801. Schwager war in seinem damaligen Reisebericht auf Erzählungen von Zeitgenossen angewiesen und damit nicht objektiv und wohl auch nicht unbedingt dicht an der Wahrheit.