Halle befand sich im Ausnahmezustand, als am 10. April 1938 über den so genannten „Anschluß Österreichs“ an das Deutsche Reich abgestimmt wurde. Das Rathaus, die Post, Bahnhof- und Rosenstraße waren festlich geschmückt. Die ganze Stadt trat zum Volksaufmarsch auf dem Lindenplatz an. Mit dem Gefühl, Weltgeschichte zu erleben, beginnen die Haller diesen Tag. Bei der anschließenden „Wahl“ stimmten im Kreis Halle 98,9% für „Großdeutschland“ und für Adolf Hitler. Mehr zu Festprogramm und Druckmitteln der NSDAP finden Sie unter…
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Gewählt werden durfte mit „Ja!“ – und es wurde in Halle/Westfalen zu 98,9% mit Ja gewählt, damals im April 1938…
Im Rahmen der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitung wurde Österreich am 12. März 1938 von deutschen Truppen besetzt und an das Deutsche Reich „angeschlossen“. Damit öffnete sich für Deutschland ein Tor nach Südosteuropa, wirtschaftlich und militärisch. Die Annektierung ließ sich Adolf Hitler vom Volk beider Staaten nachträglich durch eine Abstimmung legitimieren. Im Vorfeld wurde diese „Wahl“ symbolisch überhöht: Sie galt als Bekenntnis zum Nationalsozialismus und als Ausdruck persönlicher Dankbarkeit und Treue gegenüber Adolf Hitler.
Etwas mehr als ein Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges versicherte sich die nationalsozialistische Führung damit ihrer Macht. Wo die Zustimmung noch nicht hundertprozentig war, half die Propaganda mit erhebenden und faszinierenden Veranstaltungen nach, wie in Halle am Samstag, dem 9. April 1938. Wer sich noch immer nicht begeisterte, erfuhr die subtile Gewalt des Nationalsozialismus, wie in Halle am 10. April, dem Wahlsonntag.
Nach 1945 stellte sich die Frage, warum es nicht mehr Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime gegeben habe. Generationen von Historikern versuchten das Phänomen des allgemeinen Schweigens und des Mitläufertums zu erklären. Ein Beispiel für nationalsozialistische Machtausübung, der kaum zu entrinnen war, ist die „Großdeutschland“-Wahl in Halle.
„Wahlkampf“ in Halle
Seit Wochen prangte die Wahlkampfparole „Ja!“ an allen öffentlichen Gebäuden in Halle, an Post und Rathaus, auf Lokomotiven der Reichsbahn und LKW-Planen, ergänzt durch „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“. Noch einmal marschierte die SA mit Trommeln und Standarten. Die Presse gab Nachhilfe in deutscher Geschichte. Unter dem Titel „Blut zu Blut“ [1] wurde suggeriert, Deutsche und Österreicher seien seit jeher eine „Volksgemeinschaft“ gewesen, allein fremde Mächte hätten bislang den Zusammenschluss verhindert. Die Zeitungen berichteten aktuell von Hitlers Österreichreise, so etwa vom ersten Spatenstich für die Reichsautobahn Salzburg-Wien.
Am Sonntag, dem 10. April, sollte die Wahl stattfinden. Doch schon für Samstag, den 9. April, waren in jeder deutschen Stadt und in jedem Dorf Feierlichkeiten geplant. Dass die Bevölkerung geschlossen daran teilnahm, wurde vorausgesetzt. Nach Aussage der Parteipresse gab es ein regelrechtes Wetteifern darin, Halle festlich herauszuputzen. „Kein Haus darf ohne Schmuck sein!“, war die Order. Ausreden galten nicht: Wer sich keine Fahne leisten konnte, hatte zumindest ein selbst gestecktes Hakenkreuz aus Tannengrün anzubringen. Flaggen, Fähnchen, Spruchbänder und Girlanden schmückten die Straßen rund um den Lindenplatz [2] am Amtsgericht. Das Gerichtsgebäude selbst trug auf der obersten Zinne ein Hakenkreuz, das nachts beleuchtet wurde.
Festprogramm auf dem Lindenplatz
Am Samstagmittag um 12.00 Uhr erwartete man per Radioübertragung aus Wien Goebbels Kommando „Heißt Flaggen!“ [sic!], um auch auf dem Lindenplatz feierlich die Fahnen zu hissen. Von 15.00-16.30 Uhr fand ein Konzert statt. Der späte Nachmittag wurde für weitere Vorbereitungen genutzt: Auf dem Lindenplatz errichtete man drei Pylonen mit den Aufschriften „Ein Volk!“, „Ein Reich!“ und „Ein Führer!“. Auf Ihnen würden abends Bengalische Feuer entzündet werden. Die in Hesseln stationierten „Arbeitsmänner“ [3] schichteten auf dem höchsten Punkt der Egge einen Holzstoß für ein weithin sichtbares Feuer auf.
Um 19 Uhr begann das Festprogramm auf dem Lindenplatz, der mit Scheinwerfern beleuchtet wurde, mit einem „Volksaufmarsch“. Die Belegschaften aller Betriebe traten geschlossen an. Die Parteiorganisationen marschierten singend durch die Stadt auf den Platz. Bürgern und Bürgerinnen war nahegelegt worden, dass niemand zu Hause bleiben dürfe, denn nur in der Gemeinschaft sei zu begreifen, dass an diesem Tag mit der „Heimkehr der Ostmark in das Reich“ Weltgeschichte geschrieben würde. Sie alle erwarteten in Kälte und aprilhaften Schneeschauern die Rede Hitlers aus Wien. Um 20 Uhr schallte die Stimme aus den Lautsprechern. Als schließlich das letzte Wort verklungen war, läuteten die Glocken beider Haller Kirchen. In den Fenstern vieler Fachwerkhäuser am Kirchplatz brannten Kerzen. Nun wurden auch die Pylonen feierlich entzündet. Später am Abend loderte das Freudenfeuer der Arbeitsmänner hoch oben auf der Egge. Die Burg Ravensberg wurde Schauplatz eines großen Feuerwerks.
Wahlsonntag in Halle
Am Wahlsonntag, um 7 Uhr morgens, veranstalteten Hitlerjugend (HJ) und andere Parteigruppierungen ein „großes Wecken“ mit Böllerschüssen, Gewehrsalven, einem Marsch durch die Stadt und „mahnenden Sprechchören“. Die Wahllokale waren von 8-17 Uhr geöffnet. Es wurde den Hallerinnen und Hallern jedoch dringend geraten, ihre Stimme bereits „vor der Mittagsstunde“ abzugeben. Andernfalls setzte sich der „Wahlhilfsdienst“ in Bewegung, um unmissverständlich Begleitung zum Wahllokal anzubieten. Wer seine Stimme abgegeben hatte, bekam eine Plakette mit Führerbildnis ans Revers geheftet – Anerkennung oder Brandzeichen?
Schon um 16 Uhr hatte die gesamte Haller Bevölkerung ihr Kreuz gemacht. Ein Wahl-Filmteam aus Bielefeld drehte noch einige Bilder vom blumengeschmückten Wahllokal und vom malerischen Kirchplatz. Dann begann vermutlich die Auszählung.
Der Kreis Halle konnte eine Wahlbeteiligung von 99,6% vermelden. Die Ja-Stimmen betrugen 98,9 %. Tatsächlich gab es auch einige Nein-Stimmen. Im großen Wahlkreis Stadt Halle waren es nur fünf, in den kleinen Wahlkreisen Eggeberg, Ascheloh, Hörste und Kölkebeck jeweils fast ebensoviele. Mehr Verweigerung zeigten Werther und Steinhagen mit Nein-Stimmen im zweistelligen Bereich. In der typischen Sprache es Nationalsozialismus, die abweichendes Verhalten gezielt als pathologisch darstellte, wurden die „Neinsager“ anderntags stigmatisiert als „krankhafte Querulanten, die nie zu heilen sein dürften“.
Der „Tag des Großdeutschen Reiches“ wurde in Halle bis 1944 jedes Jahr feierlich begangen.
Katja Kosubek
1 Alle Zitate sind nachzulesen im „Haller Kreisanzeiger“, der Lokalbeilage der in Bielefeld erschienenen
„Westfälischen Neuesten Nachrichten“ vom 8.-11. April 1938.
2 Der Lindenplatz befindet sich an der Mündung der oberen Bahnhofstraße auf die Lange Straße (B68) zwischen Amtsgericht und Kirchplatz. An diesem zentralen Ort fanden bis in die späten 1950er Jahre alle Haller Großereignisse statt, wie etwa die Schützenfeste. Es gab zwei Gaststätten mit Außengastronomie. Heute befinden sich dort Parkmöglichkeiten, so dass der ehemalige Festplatz nicht mehr als solcher wahrgenommen wird.
3 Truppen des Reichsarbeitsdienstes (RAD) waren in einem Lager in Hesseln untergebracht.
Ihre Aufgaben waren unter anderem die Aufforstung der bis dahin „Kahlen Egge“ mit jungen Fichten und die Trockenlegung der Masch durch ein Grabensystem.