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Frauenwahlrecht

Foto Dr. Ida Kisker | um 1930
Stadtarchiv Halle (Westf.)

Halle fieberte der Wahl zur Nationalversammlung entgegen. Am 19. Januar 1919 sollte es so weit sein. Nur zehn Wochen nach dem Kriegsende und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches würde ein neues Deutschland entstehen. Eine geordnete Revolution fand hier vor aller Augen statt…  Das Interesse an Politik war enorm. Der Wahlkampf erreichte mit bestens besuchten Versammlungen seinen Höhepunkt.  In der Menge und auf der Bühne standen zum ersten Mal auch Frauen. In Halle war die 37jährige Dr. Ida Kisker sicherlich eine Leitfigur, ebenso Louise Becker, die Ehefrau des Kaufmanns C.W. Becker. Sie kandidierte sogar als Abgeordnete der DDP (Deutsche Demokratische Partei) für die Nationalversammlung. Mit insgesamt sechs aktiven Frauen hatte das politische Leben in Halle einen bemerkenswert hohen Frauenanteil…

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Details und Hintergründe

100 Jahre Frauenwahlrecht - in Halle!

Noch im Jahr 1850 war Frauen die Teilnahme an politischen Versammlungen untersagt. Erst im Jahr 1902 wurden sie als Teilnehmerinnen geduldet, durften aber weder eine Meinung äußern noch selbst eine Rede halten, so die Regierung in Minden.

Es war die SPD als älteste Partei Deutschlands, die seit jeher für mehr soziale Gerechtigkeit eintrat — auch für gleiches Wahlrecht. Gemeint war damit vor allem die Abschaffung des ungerechten Dreiklassenwahlrechts[1]. Dass in diesem Zuge auch Frauen das Stimmrecht erhielten, war eher ein Nebeneffekt.

Tatsächlich verstanden viele Frauen das Wahlrecht als eine Wahlpflicht. Sie waren entschlossen, ihre neue Aufgabe ernst zu nehmen und sich umfassend zu informieren. So besuchten viele von ihnen zum  ersten Mal eine politische Versammlung. Für welche Partei sollte man stimmen?[2]

Das Haller Kreisblatt bermerkte schon im November erstaunt, zu einem Treffen der SPD seien „Arbeiter, Bürger und Frauen“ erschienen.[3]

In Versammlungen der fortschrittlichen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) traten auch Rednerinnen auf, um besonders die anwesenden Frauen zu gewinnen. Am 8. Dezember 1918, einem Sonntagnachmittag, wurde in Gasthaus Brune eine DDP-Ortsgruppe in Halle gegründet. Zu diesem Anlass sprach auch „Fräulein Oberlehrerin Hehr“ aus Bielefeld. Überhaupt waren viele Lehrerinnen unter den politisch aktiven Frauen: Dieser gesellschaftlich anerkannten Frauenberuf bedeutete eine der wenigen Alternativen zum Dasein als Ehefrau und Mutter und versprach ein gewisses Maß an Unabhängigkeit.

Nicht nur durch Vorträge wurden die zukünftigen Wählerinnen geworben. In der Großstadt Bielefeld waren sogar Beratungsstellen eingerichtet worden, um Frauen zu informieren und auf ihre Aufgabe vorzubereiten.[4]

Die DDP lädt am 8. Dezember 1918 zur Versammlung bei Brune. Es spricht Fräulein Oberlehrerin Hehr. Haller Kreisblatt-Archiv, Band 1919.

Der konservative Haller Schulrektor Christian Frederking war vor allem skeptisch – gegenüber den politisch interessierten Frauen und überhaupt gegenüber der Demokratie mit ihren zahlreichen Wahlveranstaltungen, wie er in seiner „Kriegschronik“ deutlich macht: „In keinem Wahlkampf bisher ist ein derartiges Trommelfeuer eröffnet worden wie jetzt. […] In der Nr. 9 des Haller Kreisblatts werden 15 öffentliche politische Versammlungen angekündigt. Jede der Parteien hält fast an jedem Tage eine Versammlung ab, und jede Versammlung ist gut besucht, besonders auch von Frauen.“[5]

Als Nationalist stand Frederking besonders mit der liberalen (DDP) auf Kriegsfuß. Unbeliebt machte sich bei ihm die Politikerin Annelise Morisse, ebenfalls aus Bielefeld, als sie die Nationalhymne für nicht mehr zeitgemäß erklärte: „Fräulein Dr. Morisse aus Bielefeld sagte gestern in einer stürmischen Versammlung bei Hollmann, wir dürften ‚Deutschland über alles‘ nicht mehr singen!“    Tatsächlich hatten die besungenen Landesgrenzen „von der Etsch bis an den Belt“ ja nichts mehr mit den Landverlusten und verschobenen Grenzen nach Kriegsende zu tun.

Allein Dr. Ida Kisker wurde von Frederking anerkannt. Sie vertrat die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), der auch er nahestand.

Sonderausstellung Haller Persönlichkeiten, Christian Frederking

Christian Frederking beschrieb die Ereignisse. Foto: Stadtarchiv Halle (Westf.)

Frederking nimmt seine Leserinnen und Leser nun noch mit ins Gasthaus Brune, wo man am Abend des 19. Januar 1919 die Wahlergebnisse erwartet:

„Endlich ist nun der große Tag der Entscheidung gekommen. Mancher freut sich, daß nun endlich das Aufwühlen der Bürger und Frauen aufhört. Jeder ist außerordentlich gespannt, wie das Ergebnis wohl ausfallen wird. Man fürchtet, daß auf dem Lande, auch von Bauern, viel demokratisch gewählt wird. […] Bei Brune hatte sich eine stattliche Anzahl Herren eingefunden, die alle dem Einlaufen der Wahlergebnisse der Gemeinden zunächst nur im eigenen Kreise gespannt entgegensahen.“     Frederkings Befürchtungen sollten sich bestätigen: „Die einlaufenden Nachrichten bestätigten die Vermutung, daß auch auf dem Lande viele sozialdemokratisch wählen würden und daß ferner die Demokraten eine erhebliche Stimmenzahl zusammenbrächten. Daß aber die Demokraten in den Landgemeinden [z.B. Eggeberg, Ascheloh…] so stark sein würden, wie die Auszählung der Stimmen ergab, hatten doch nur die Wenigsten erwartet.“ (Frederking, ebd.)

Louise Becker (DDP), die Ehefrau des Haller Kaufmanns C.W. Becker, wird sich gefreut haben. Kurz darauf, bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Landesversammlung in Preußen stand sie als einzige Frau in Westfalen auf Platz Nr. 1 auf der Wahlliste einer Partei.Bei der Kommunalwahl in Halle holte sie 35,6 % der Stimmen den Sieg für die DDP.[6]

Gemeinsam mit Dr. Ida Kisker gehörte Louise Becker dem Haller Stadtrat an. (Frederking, 1919). Kisker, die auch Vorsitzende des Vaterländischen Frauenvereins in Halle war, hatte wohl auch die Vereinskameradinnen Charlotte Eggert und Marie Ostrop zum Engagement in der DNVP motiviert. Politisch aktiv waren daneben auch Klara Wittstock und Meta Koch (DDP) sowie Emma Ina Koch (SPD) und Auguste Schneiker. Was haben sie bewirkt, was ist aus ihnen geworden?  Die Forschungen haben gerade erst begonnen…

Wenn Sie etwas über eine dieser Frauen wissen oder vielleicht ein Foto besitzen, melden Sie sich gern!

Gasthaus Brune, Bahnhofstraße in Halle Westfalen um 1906. Postkarte aus Privatbesitz.

[1] Die Einteilung der „Klassen“ bemaß sich nach Höhe der gezahlten Steuern. Wer viel Geld verdiente und entsprechend hohe Steuern zahlte, das waren 4% der Bevölkerung,  hatte genau so viel politischen Einfluss wie die 82% der Bevölkerung mit geringem Verdienst. Näheres auf der Website „LeMo – Deutsches Historisches Museum/Dreiklassenwahlrecht“

[2] Wie Frauen sich über politische Parteien informierten und wie sie politische Versammlungen erlebten, ist nachzulesen in den Autobiographien „Alter Kämpferinnen“ der NSDAP. Katja Kosubek: Genauso konsequent sozialistisch wie national, die Alten Kämpferinnen der NSDAP, Göttingen 2017 (Quellenedition).

[3] Haller Kreisblatt vom 16. November 1918.

[4] Vgl. Vortrag von Dr. Bärbel Sunderbrink
„Revolution 1918/19 in Bielefeld – Der Aufbruch der Frauen in die Demokratie“ am 15. Januar 2019 im Stadtarchiv Bielefeld.

[5] Christian Frederking, Kriegschronik 1914-1924, hier Januar 1919, Manuskript. Das Mauskript wird im Laufe des Jahres 2019 hier in den Haller ZeitRäumen veröffentlicht.

[6] Vgl. Wilfried Reininghaus: Die ersten demokratischen Kommunalwahlen in Westfalen und Lippe 1919, Manuskript, Veröffentlichung im Frühjahr 2019.