Als Kriegsgefangener Nr. 16 241 kam der Franzose Georges Daout im August 1940 nach Künsebeck. Als Offizier war er von einer Beschäftigung freigestellt, doch in diesem Fall wurde die Essensration gekürzt. Er arbeitete darum zunächst in der Flachsröste Künsebeck, bevor er 1942 als landwirtschaftlicher Helfer auf den Hof Schlienkamp wechselte. Hier gab es eine kleine Sirupfabrik und zur Familie bestand ein gutes Verhältnis. Georges Daout kehrte im Sommer 1945 zurück nach Frankreich. Am 12. Juni 2014 feierte er dort seinen 100. Geburtstag.
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Als „Blitzkrieg“ ging die deutsche Militäroffensive gegen die Beneluxstaaten und Frankreich im Jahre 1940, der sogenannte Westfeldzug, in die Geschichte ein.
Der Feldzug hatte am 10. Mai begonnen und war nur sechs Wochen später durch den Waffenstillstand vom 25. Juni 1940 bereits beendet. Mit der Folge für Frankreich, dass 1,6 Millionen seiner Soldaten sich in deutsche Gefangenschaft begeben mussten.
Einer von 1,6 Millionen
Zu ihnen gehörte auch der am 12. Juni 1914 im nordfranzösischen Creteil geborene Artillerist Georges Daout, verheiratet in Ivry-sur-Seine, Vater einer Tochter. Für den Sergeant begann der Krieg an seinem 26. Geburtstag.
Zehn Tage darauf, am 22. Juni 1940 wurde Georges in Douaumont gefangen genommen und zwecks Internierung alsbald zu Fuß nach Deutschland in Marsch gesetzt. Erst im Mai 1945 sah er seine Familie wieder – nach fast fünf Jahren. Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in die Heimat erlosch nie, sie hatte gleichwohl kaum wirklich bestanden. Denn die Gefangenen waren im deutschen Reich als Ersatz-Arbeitskräfte unverzichtbar.
Weg in die Gefangenschaft
Anfangs machte Georges unter der Überschrift „Quelques étapes de la retraite juin 1940“ täglich Eintragungen in sein Tagebuch. Sie enden am Donnerstag, den 1. August 1940, mit den Worten: „arrivee a Kunsebeck“.
Vier Tage zuvor, am 28. Juli, war er im Stalag ( Stammlager) VI D (Dortmund) aufgenommen und registriert worden und trug fortan die Nummer 16241. Das Stalag Dortmund blieb sozusagen die erste Adresse.
Arbeit in der Flachsröste Künsebeck
Dass Georges Daout so schnell weitergeleitet wurde nach Künsebeck, wird daran gelegen haben, dass das Bielefelder Arbeitsamt in Dortmund Arbeitskräfte angefordert hatte. Dem lag offenbar ein Gesuch der 1936 in Künsebeck errichteten Ravensberger Flachsverwertungsgenossenschaft (Flachsröste) um Überlassung von Kriegsgefangenen als Helfer zugrunde.
So kam es, dass der Bankangestellte Daout, der mit 23 weiteren Franzosen im Lager „Brinkkötter“ untergebracht war, in Gummistiefeln zu arbeiten lernte. In jenem Teil der industriellen Flachsverarbeitung nämlich, wo die Faserpflanzen in großen Wasserbecken eingeweicht wurden. Man nannte diesen Vorgang auch „rösten“, deshalb „Flachsröste“.
Irgendwann bekam Georges Daout Kontakt zu Mitarbeitern der nahen Dürkoppwerke. Dort gab es ein Werksorchester und Georges, der Klavier und Gitarre spielte, durfte mitmachen. Das war 1942.
Die „Sirupfabrik“ auf dem Hof Schlienkamp
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Gefangene Nr. 16241 seinen Arbeits- und (wohl auch) Schlafplatz schon bei dem wohlhabenden Bauern Heinrich Schlienkamp in Künsebeck. Georges half bei der Landarbeit und nebenbei brachte der Sohn des Hofes ihm Deutsch bei.
Die Besonderheit auf dem Hof Schlienkamp – von dem auch der damals sehr gefragte Architekt August Schlienkamp (1885-1947) stammt – war die sogenannte „Krautpresse“, eine Zuckerrübenpresse, mit der sich aus Rüben Sirup herstellen ließ.
Bereits seit 1918 wurde der süße Saft, der in Westfalen „Rübenkraut“ heißt, in glänzenden Kupferkesseln und gefliester Umgebung produziert. Die Bauern ringsum bauten extra ein paar Reihen Zuckerrüben an, um sie im Herbst bei Schlienkamps zu dem begehrten Brotaufstrich verarbeiten zu lassen. Eine Tätigkeit, die Georges Daout wohl gefallen hat und interessant genug fand, seiner Familie einen Artikel aus dem Haller Kreisblatt vom 18./19. März 1944 zu schicken, worin die Schlienkampsche Anlage erläutert wird.
Im Krankenhaus
Am 21. August 1942 stellte die Haller Ärztin Dr. M. Oing folgendes Attest aus: „Der Kriegsgef. Daout, Geo. No. 16241 bedarf wegen linkss. Leistenbruchs d. Aufnahme ins Kr.Haus Halle i./W. Zwecks Operation.“ In einem Schreiben vom gleichen Tage an das Stalag Dortmund suchte der hiesige Kdo.-Führer Pfarrer Becker um Erlaubnis zur Aufnahme in das Krankenhaus Halle nach, „da der Bauer [Schlienkamp] den Gef. in seiner Nähe wünscht, um ihn schnell wiederzubekommen.“ Die Antwort am 25. August lautete: „Der Kr.Gef. ist dem Revier des Stalag VI D zuzuführen. Der Lagerarzt.“ Demzufolge ist Georges Daout zuständigkeitshalber im „Reserve-Lazarett“ des Kath. Krankenhauses in Dortmund-Kirchlinde operiert worden, jedoch nicht ohne vorher noch entlaust worden zu sein. Acht Tage „Schonung“ wurden ihm vor dem Eingriff zugestanden, weitere zwei Wochen anschließend. Der Stabsarzt verfügte schließlich noch „1 Monat leichte Arbeit“.
Bei Landrat Emil Leweke in Halle (Sachbearbeiter Magnino) beantragte Daout am 28. Juni 1943 einen französischen Pass und erhielt ihn Anfang Oktober desselben Jahres.
Vom 11. Juni an gab es für 250.000 französische Kriegsgefangene die Möglichkeit, den Status von Zivilarbeitern zu erlangen und Georges Daout machte davon Gebrauch. Man bekam dann mehr Lohn, durfte Zivilkleidung tragen und konnte sich vergleichsweise frei bewegen.
Kontakt zur Familie und Heimkehr
Nun war es nicht so, dass der Gefangene Nr. 16241 keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt hätte. Er durfte Post empfangen und versenden. Unter anderem schickte er seiner ‚petite femme cherie‘ namens Solange mit der Ortsmarke ‚Künsebeck, le 10. Avril 1944“ ein neues Passbild. Als Kriegsgefangener galt Daout nun zwar nicht mehr, aber die Reise nach Hause war ihm trotzdem verwehrt. Er musste bis zur Befreiung durch die Alliierten im April 1945 ausharren, wie fast 1 Million seiner Landsleute. Erst die Transportbescheinigung Nr. 0127464 vom 28. April 1945 belegt das Ende des Zwangsaufenthaltes von Georges Daout in Deutschland.
Das Leben der französischen Hilfskräfte auf dem Hof Schlienkamp gehört sicherlich zu den einigermaßen erträglichen Schicksalen von Gefangenen des 2. Weltkriegs.
Georges Daout feierte am 12. Juni 2014 im Beisein der Tochter seinen 100. Geburtstag.
Wolfgang Kosubek
Juni 2014