Als Ausdruck bürgerlichen Wohlstandes galt um 1817 das Pfeiferauchen. Der Bürger war es, der sich eine behagliche Mußestunde im Kreise seiner Lieben leisten konnte. Kostbare, lange Meerschaumpfeifen wie diese waren à la mode. Dieser Pfeifenkopf „strandete“ im Hotel Deutsches Haus, Halles „erstem Haus am Platze“, eröffnet 1831. Vielleicht konnte ein Gast die Rechnung nicht in bar begleichen oder ein Sommerfrischler wollte sich für den angenehmen Aufenthalt bedanken…
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Wohlstand und Behaglichkeit
Ein Ausdruck bürgerlichen Wohlstandes und Selbstbewusstseins war um 1817 das Pfeiferauchen. Der Bürger vermochte sich eine Mußestunde zu leisten, den verdienten Rückzug in private Behaglichkeit. Die kostbare, lange Meerschaumpfeife war seinerzeit besonders à la mode.
Der nebenstehende Meerschaumpfeifenkopf (Foto) zeigt einen geschnitzten springenden Hirsch, die Jahreszahl 1817 und die Herstellerpunze MD. Der charakteristische lange Pfeifenhals und eine Schnur mit Quasten fehlen heute.
Der feine Schaum aus Anatolien
Meerschaumpfeifen wurden seit Mitte des 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert in Deutschland hauptsächlich in Lemgo und Ruhla (Thüringen) hergestellt. Der poröse Meerschaum wurde in Anatolien als Knolle abgebaut, war weich wie Wachs und wurde durch Trocknen an der Luft gehärtet. Meerschaum gehört zu den Silikaten. Aus Abfällen wurde unechter Meerschaum erstellt. Dieser war günstiger in der Anschaffung.
Veränderte Rauchgewohnheiten, beispielsweise durch die Zigarre, und Konkurrenz, unter anderem aus Wien und Nürnberg, führten zu einem Rückgang des Lemgoer Pfeifengewerbes.
Die bürgerliche Familie mit den Zeichen des Wohlstndes. Der junge Mann rechts hält als Statussymbol die Meerschaumpfeife. Familie Beyerle, 1804. Gemälde (Öl auf Leinwand) von Johann Christoph Rincklake aus Privatbesitz. Foto: Rudolf Wakonigg gezeigt in der LWL-Ausstellung "Aufbruch in die Moderne" (2004)
Die Meerschaumpfeife als „Strandgut“ im Deutschen Haus
Wie und wann der wertvolle Pfeifenkopf nach Halle kam, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Vermutlich im Kaiserreich gelangte er in den Besitz des Hotels „Deutsches Haus“ am Lindenflecken.
Dies war seinerzeit Halles „erstes Haus am Platze“ und ein beliebtes Ziel für „Sommerfrischler“ (Ausflügler) aus der Großstadt. Hier „strandeten“ einige kostbare oder kuriose Objekte, denn mancher Gast konnte seine Zeche nicht ganz begleichen und musste in „Naturalien“ zahlen. Andere wollten sich für einen besonders angenehmen Aufenthalt bedanken und hinterließen ein kleines Geschenk.
Viele Jahre gehörte der Meerschaumpfeifenkopf zum Inventar des Hotels Deutsches Haus. Sie wird manchen Gast an Wilhelm Buschs „Max und Moritz“[1] erinnert haben, und an den bedauernswerten Lehrer Lämpel, dessen Meerschaumpfeife die beiden Missetäter mit Flintenpulver gestopft hatten:
Rums!! – da geht die Pfeife los
Mit Getöse, schrecklich groß!
Kaffeetopf und Wasserglas,
Tabaksdose, Tintenfaß,
Ofen, Tisch und Sorgensitz
Alles fliegt im Pulverblitz.
Als der Dampf sich nun erhob,
Sieht man Lämpel, der – gottlob! –
Lebend auf dem Rücken liegt;
Doch er hat was abgekriegt.
Der Pulverblitz blieb den Hotel Deutsches Haus erspart. Es stand am Lindenplatz, bis man Anfang der 1950er Jahre meinte, es sei baufälling. Gerettet hat der Verfasser viele kleine Erinnerungsstücke – so auch den geschnitzten Pfeifenkopf.
Martin Wiegand
[1] Wilhelm Busch: Max und Moritz, Der vierte Streich (Lehrer Lämpel und seine Meerschaumpfeife).