Die Spanische Grippe erreichte den Kreis Halle im Oktober 1918. Die Bevölkerung war durch die Mangelernährung während der Kriegsjahre geschwächt und hatte der Krankheit „nichts entgegenzusetzen“. Plötzliches hohes Fieber, oft verbunden mit einer blutigen Lungenentzündung, führte nach wenigen Tagen zum Tod. In Halle und Umgebung starben besonders viele Kinder an der Epidemie, so wie die kleine Martha „im zarten Alter von 2 ¾ Jahren.“.
Weltweit forderte die Spanische Grippe mehr Todesopfer als der Erste Weltkrieg.
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Im Haller Kreisblatt füllten Todesanzeigen schon seit dem Beginn des ersten Weltkriegs 1914 die Zeitungsseiten. War es bis zum Herbst 1918 noch der „Heldentod fürs Vaterland“, den die Söhne in den Schützengräben starben, änderte sich im Oktober 1918 das Bild: Männer im mittleren Alter, Mütter, junge Frauen und kleine Kinder erlagen einem unsichtbaren Feind, der sogenannten Spanischen Grippe.
Amerikanische Truppentransporte brachten die Pandemie nach Europa, wo sie sich zunächst unter Soldaten, dann in der Zivilbevölkerung, in rasendem Tempo ausbreiten konnte. Eine spanische Zeitung, die nicht der Zensur unterlag, berichtete als erste über die grassierende Krankheit. So prägte sich der Name „Spanische Grippe“ ein, die eigentlich „Amerikanische Grippe“ hätte heißen müssen.
Wie das Grippevirus nach Deutschland kam, ist ungeklärt. Vermutlich schleppten Kriegsgefangene, Soldaten auf Urlaub oder Kriegsheimkehrer das Virus ein. Im Juli 1918 waren bereits knapp 400.000 deutsche Militärangehörige an der Grippe erkrankt.[1]
Seit 1914 hatte die Kriegsführung in Europa Vorrang gehabt. Die Versorgung der Soldaten sollte sichergestellt werden, auch wenn das nicht immer gelang. Die Zivilbevölkerung in Deutschland musste seit dem Winter 1915/16 mit immer kleiner werdenden Lebensmittelrationen auskommen. Gegen Kriegsende litten die meisten Deutschen an chronischer Unterernährung.[2] Die Abwehrkräfte, also das Immunsystem der meisten war geschwächt. Vielleicht wäre die Grippe weniger dramatisch verlaufen, wäre man „besser beieinander“ oder gar „gut in Stüften“ gewesen wäre ― aber darin gehen die Forschungsmeinungen auseinander.[3]
Viren ließen sich mit der damaligen Medizintechnik noch nicht identifizieren, die Möglichkeit einer Impfung bestand 1918 nicht. Die hygienischen Verhältnisse – mit Wasserpumpe und Plumpsklo – gestalteten sich wesentlich einfacher als heute und die Spanische Grippe war hochansteckend! So bot sich überall im Altkreis Halle und in Bielefeld das gleiche Bild: Die Familien standen der Seuche schutz- und hilflos gegenüber.
Der Haller Schulrektor Christian Frederking schrieb schon am 26. Oktober 1918 in sein Tagebuch, ein Drittel seiner Schülerinnen und Schüler sei an der Grippe erkrankt. Er habe außerdem gehört, in Bielefeld stünden 47 Leichen „über der Erde“, weil es bereits an Särgen fehle.[4]
Lesen Sie hier Frederkings Kriegstagebuch (Band 2, PDF)
In Werther, so berichtet das Haller Kreisblatt, starben Anfang November 1918 täglich 5-6 Menschen. Ein Frontsoldat namens Ruwwe aus Werther habe ein Telegramm erhalten, dass seine 14jährige Tochter an der Grippe gestorben sei. „Er erhält sofort Urlaub, doch wie er zuhause ankam, erfährt er, daß inzwischen auch seine Frau an der Grippe gestorben sei.“[5] Drei Todesanzeigen aus Loxten bei Versmold erzählen eine weitere traurige Geschichte: Hier erlag der Schmiedemeister Temme am 5. November dem Fieber, am Tag darauf folgten ihm seine Ehefrau Wilhelmine und der 29jährige Sohn Hermann. Zwei Tage später war auch die 23jährige Tochter Karoline tot, die sich gerade verlobt hatte. Sie wurden am 9. November gemeinsam zu Grabe getragen.[6]
Trauerfeiern beging man in Halle und Umgebung üblicherweise mit einer Aufbahrung im Trauerhaus, also dort, wo die Krankheit ihre Opfer gefordert hatte – es bestend dadurch jedoch eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Landrat Roehrig bat im Haller Kreisblatt mit einfühlsamen Worten darum, nur unmittelbar am Grab zusammen zu kommen.[7]
Weitere Vorsichtsmaßnahmen, die eine Ausbreitung der Seuche hätten verhindern können, gab es nicht.[8] Ganz im Gegenteil, gerade in diesen Tagen versammelten sich überall große Menschenmengen: Der Krieg war verloren, der Kaiser hatte abgedankt und in Berlin wurde an eben diesem 9. November 1918 die Republik ausgerufen. Überall traten Arbeiter- und Soldatenräte zusammen, auch in Halle. Zahlreiche politische Veranstaltungen boten der Grippe neue Opfer. Eine Soldatenversammlung am 13. November in Versmold war „gut besucht“. Ebenso die „General-Versammlung“ der Nationalliberalen Partei am 7. Dezember bei Brune in Halle. Nicht zuletzt wollte man sich auch einmal ablenken und amüsieren. Zu einem Theater-Abend im Gasthof Tatenhausen wurde am Freitag, den 22. November, zahlreicher Besuch erwartet.[9]
Deutschland war mit dem Kriegsende politisch und wirtschaftlich zusammengebrochen. Es herrschte eine Endzeitstimmung. Wie die Zukunft aussehen würde, war völlig unklar. Die deutsche Bevölkerung nahm seither großen Anteil an nationalen Ereignissen. Das aktuelle Geschehen beschäftigte und bewegte sie sehr. Und zusätzlich drückten Alltagssorgen: der Umgang mit den Kriegsheimkehrern, die neben ihren seelischen und körperlichen Wunden auch Syphilis und Läuse mitbrachten, die nach wie vor miserable Versorgungslage – Brennholz und Kohlen waren knapp, die Stuben wurden nicht warm. Frauen und Männer litten unter einer tiefen körperlichen und seelischen Erschöpfung.
Die Spanische Grippe wurde von der damaligen Gesellschaft durchaus beklagt, aber nicht als eine panisch gefürchtete Seuche wahrgenommen und erinnert. Das parallele Ende von Krieg und Kaiserreich scheint diese stille Katastrophe geschluckt zu haben.
Katja Kosubek 2019
Zum Nach- und Weiterlesen: Eckard Michels: Die Spanische Grippe 1918/19; in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 58 (2010), Heft 1, S. 1-33; https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2010_1_1_michels.pdf
[1] Eckard Michels: Die Spanische Grippe 1918/19; in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 58 (2010), Heft 1, S. 1-33, hier S. 7.
[2] Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg – Begleitheft zur Dauerausstellung, Berlin 2013, S. 14.
[3] Michels 2010, S. 14ff.
[4] Vgl. Christian Frederking: Kriegschronik, Teil II, 1917-1924, Fred T 1918 041-060, S. 049.
[5] Haller Kreisblatt vom 8. November 1916.
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Wenn ein Geschäft „bis auf Weiteres geschlossen“ wurde, so wie die Bäckerei Gerholds in Hörste bei Halle, so lag es daran, dass der Bäcker selbst erkrankt war. Haller Kreisblatt vom November 1918.
[9] Haller Kreisblatt vom 18. November 1918, Inserat für eine Veranstaltung.