Das Wort „Heimat“ hatte in den 1920er Jahren einen guten Klang, meinte es doch einen Ort der Geborgenheit, in einer als zunehmend ungemütlich empfundenen Zeit. Der Industrialisierung, den Kriegesschäden und der Moderne konnte damit etwas entgegen gesetzt werden. Der Haller Verschönerungs-Verein hatte sich in Sachen Heimat bereits vielfältig engagiert, nun fehlte Halle nur noch eines: Ein Heimatmuseum – so wie sie jetzt in vielen Städten gegründet wurden. Wie günstig war die Gelegenheit, als 1925 das bisherige Landratsamt frei wurde, der historische „Meinders Hof“! Wer konnte ahnen, dass es fast 100 Jahre dauern sollte, bis das Museum eröffnet wurde…
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Wer die Homepage des digitalen Geschichtsmusems „Haller ZeitRäume“ besucht, der macht als Erstes Bekanntschaft mit dem ehemaligen Meinders Hof. Er stellt dort das “gedachte“ Haller Heimatmuseum dar.[1]
Als dieses 2008 „gegründet“ wurde, befand man, das geschichtsträchtige Meindersche Gebäudeensemble an der Bahnhofstraße wäre dafür bestens geeignet. Digitalisiert und virtuell natürlich, weil der gesamte Hof 1925 abgerissen wurde, um seine Grundfläche für den Neubau des Kreishauses, dem heutigen Rathaus I, herzugeben.
Das historische Gebäude sollte Halles „Heimatmueum“ werden
Martin Wiegand, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Museums Haller ZeitRäume, entdeckte in der „Allgemeinen Zeitung für Westfalen“[2] vom 13. Mai 1925 kürzlich eine überraschende Pressenotiz: Schon 1925 gab es in Halle den Wunsch nach einem Heimatmuseum, und dafür stand „das alte Landratsamt“ im Blick. Bei diesem Landratsamt handelte es sich um nichts anderes als das Hauptgebäude von Meinders Hof!
Der Kreis Halle hatte es 1908 gekauft, um darin seine Verwaltung unterzubringen. Das vorherige Domizil, die obere Etage des Hauses Brune, war längst zu klein geworden.
Das „schöne alte Patrizierhaus“ solle abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden, so heißt es weiter, um dann als Museum zu dienen. Was dem Sinne nach auch geschah ― allerdings mit 84 Jahren Verspätung und „virtuell“, worunter sich die Befürworter von 1925 wohl nichts hätten vorstellen können…
Was macht „Meinders Hof“ so besonders?
1696 – Gograf Meinders
Der Meinders Hof war die Wirkungsstätte von Hermann Adolph Meinders (1665-1730), Halles großem Sohn.[3] Im Rathaussaal ist sein Porträt zu sehen, mit weißer Allongeperücke und leuchtend rotem Samtumhang.
Die Familie Meinders war eine einflussreiche Beamtendynastie. Hermann Adolph wurde auf Schloss Steinhausen bei Halle geboren, als Sohn des Gografen[4] Dr. Konrad Meinders. Nach seinen Studienjahren heiratete er 1696 Fräulein Elisabeth Pott, die als Tochter des Haller Rentmeisters auf dem sogenannten Potts Hof aufgewachsen war. Auf diese Weise „erbte“ er das Anwesen und zudem das Amt des Rentmeisters[5] von ihrem Vater. Die Rentei Potts Hof änderte nun ihren Namen in Meinders Hof.
Einige Jahre darauf konnte er, in der Nachfolge seines Vaters, das Amt des Gografen in Halle übernehmen. Für seine Verdienste wurde ihm später der Ehrentitel „Königlicher Historiograph und Justizrath“ verliehen.[6]
Drei Generationen lang blieb der Hof in Familienbesitz. Dem Gografen folgte sein Sohn, der Amtsrat Friedrich Adolph Meinders (1699-1775), danach sein Enkel und Amtmann von Borgholzhausen, Karl-Ludwig Meinders (1735-1809), und schließlich dessen jüngerer Bruder, Franz Meinders (1743-1826), der ebenfalls Amtmann war.
1824 – Kaufmann Potthoff
Nach dessen Tod erwarb Friedrich Wilhelm Potthoff 1827 das Anwesen, bestehend aus dem Wohn- und Amtshaus, Nebengebäuden und Hausgarten sowie dem „Meinders‘schen Mauergarten“, der auf der anderen Seite der Straße lag.
Potthoff war jener wohlhabende Kaufmann, der kurz zuvor (1828) seiner jung verstorbenen Ehefrau Helene den bemerkenswerten, achteckigen Pavillon an den Waldgräbern gebaut hatte.[7] Den „Meinders‘schen Mauergarten“ vermittelte er der Stadt Halle als neuen Friedhof, an der heutigen Bahnhofstraße gelegen. Potthoff fungierte damals als Treuhänder für die Meinders Erben.
Ohne seinen Namen einzubüßen, ging der Meinders Hof von Fr. W. Potthoff († 1834) auf dessen Schwiegersohn über, den Justizkommissär August Ferdinand Heidsiek, den Ehemann von Poffhoffs ältester Tochter Wilhelmine Charlotte.
Als Heidsiek 1871 gestorben war, wurde Charlottes jüngerer Bruder, der Apotheker Dr. Carl August Potthoff 1875 gemeinsam mit Kaufmann Rudolf Walbaum Eigentümer. Weil der Apotheker aber in Bonn wohnen blieb, wurde die Haller Besitzung noch im selben Jahr an Anna Caroline (1835-1908) und Henriette Eleonore (1822-1891) Wilmanns weiterverkauft.
1875 – Mädchenpensionat Wilmanns
Die Schwestern Wilmanns änderten die Nutzung grundlegend und richteten im Haupthaus ein Mädchenpensionat ein.[8] Um feine Umgangsformen zu erlernen, zogen fortan junge Damen aus vornehmen Familien von nah und fern in die stolze Besitzung ein ― zum Wohlgefallen der Haller Männerwelt…
Die überlebende ältere Schwester, Anna Caroline Wilmanns, leitete mit der Aufgabe des Meinders Hofs im Jahre 1907 schließlich das letzte Kapitel seiner glanzvollen Geschichte ein.
Das gesamte Anwesen ging an den Kaufmann Karl Brinkmann. Dieser teilte den Garten in drei Bauplätze, auf denen er selbst, der Tischler Fräkem und der Bäcker Schmidt Häuser errichteten.[9]
1908 – Landratsamt des Kreises Halle (Westf.) bis zum Abbruch 1925
Das Meindersche Herrenhaus übernahm nach langem Zögern schließlich der Kreis Halle (Westf.) als Landratssitz, zum Preis von 42.000 Mark.
Das Schicksal des Abbruchs ereilte den Meinders Hof 1925, weil für den Neubau eines großen Kreishauses kein anderer Platz gefunden werden konnte.
Ein Wiederaufbau des historischen Gebäudes als Heimatmuseum fand nicht statt.
Allerdings wurde der erst 1908 angebaute schöne Fachwerk-Erker verschont. Er ziert heute das Haus Hess, Bahnhofstraße 14. Ein knapp 10 Meter langer Eichenbalken, sowie eine Flügeltür aus den Innenräumen fanden ihren Weg auf den Hof Kampwerth Ascheloh. Auch die wertvollen Bibel-Fliesen vom Meinderschen Kamin blieben größtenteils erhalten. Der Baumeister des neuen Kreishauses, Wilhelm Oldemeier, fand für den gleichen Zweck Verwendung in der neuen Landratswohnung.
2008 – …und nun doch ein Museum
Der historische Meinders Hof geriet in Vergessenheit. Niemand erinnerte sich daran, dass es ihn jemand gegeben hatte ― wären da nicht zwei Fotos im Haller Stadtarchiv gewesen. Die Idee eines digitalen stadtgeschichtlichen Museums war 2008 geboren, und nun wurde ein Gebäude gesucht, in das dieses „gedachte“ Museum einziehen könnte.
So kam es, dass der stolze Meinders Hof nun doch ein „Heimatmuseum“ wurde.
Eine Skizze der geplanten „Zeit-Räume“ war im alten Grundriss schnell erstellt und die Fassade digital ein wenig renoviert… Unter dem Namen Haller ZeitRäume zeigt das Museum heute große Weltgeschichte am Beispiel der kleinen Stadt Halle in Westfalen.
Wolfgang Kosubek (Recherche & Text) sowie Martin Wiegand (Recherche & Inspiration) und Katja Kosubek (Redaktion)
2. Juli 2021
[1] Meinders Hof war um 1690 Halles Rentei (auch Rentamt genannt = Finanzverwaltung, Kasse, Rechnungshof), und wurde 1908 als Sitz des Landrates im damaligen Kreis Halle (Westf.) genutzt. Das Anwesen trug die Anschrift „Halle Nr. 70“ (heute Ravensberger Straße/ Ecke Bahnhofstraße) und lag am südlichen Ausgang der kleinen Stadt. Dort begann die Straße nach Bokel – Versmold – Münster. Heute (2021) steht an seiner Stelle das Rathaus I (vormals Kreishaus). Eingangszitat vgl. Gertrud Hesse: „Glanz und Ruhm um den Namen Meinders“, Haller Kreisblatt vom 24. Dezember 1942.
[2] Allgemeine Zeitung für Westfalen (enthält Haller Kreiszeitung), Bielefeld, 3. Jahrgang, Ausgabe 113 vom 13. Mai 1925. Digitalisat [PDF] unter URL: https://zeitpunkt.nrw/ulbms/date/day/5138499?d=1925-05-13 [online am 14. Juni 2021].
[3] Die Biographie Hermann Adolph Meinders ist nachzulesen unter: Digitales Geschichtsmuseum Haller ZeitRäume, Sonderausstellung Haller Persönlichkeiten, URL: https://www.haller-zeitraeume.de/sonderausstellungen-exponate/hermann-aldolph-meinders [online am 14. Juni 2021]. Vgl. auch Heinrich Meise: Die Stadt Halle in Westfalen, Halle/Westfalen 1969, S. 45ff. Bei der Schreibweise des Vornamens „Hermann Adolph“ folgen wir den verschiedenen um 1710 erschienenen Druckwerken des Gelehrten, darunter „Tractatus Historico-Polizico-Juridicus…“ (Vom Eigentumsrecht in Westphalen), Lemgo 1713.
[4] Ein Gograf war eine Art Amtsrichter, der Gerichtsverhandlungen führte oder die Aufsicht über den rechtmäßigen Verlauf von Gerichsprozessen führte.
[5] Ein Rentmeister verwaltete die Finanzen einer Stadt oder Gemeinde, in der Art eines Schatzmeisters oder Kämmerers (wortverwandt: „Rente“). Eine Rentei war dem entsprechend eine Art „Rechnungshof“.
[6] In welchem Zeitraum Meinders seine Amtsgeschäfte auf Meinders Hof (vormals Potts Hof) oder aber im Schloss Steinhausen führte, ist bisher nicht zweifelsfrei belegt. Gertrud Hesse geht nicht davon aus, daß der Pott’sche Hof bereits der Wohnsitz von Hermann Adolph Meinders war. Der Meinders Hof sei nach dessen Sohn Friedrich Adolf benannt. Er habe „den schönen Hof an der Straße nach Versmold“ erworben und sei der erste Meinders gewesen, der „auf dem Meinders Hof saß“. Vgl. Hesse ebd.
Nach Heinrich Meise erwarb Hermann Adolph Meinders den Hof des Schwiegervaters Friedrich Wilhelm Pott jedoch bereits nach dessen Tod 1695. Vgl. Meise ebd.
Da Meinders sein Amt als Rentmeister und damit auch den Amtssitz 1695/96 von seinem Schwiegervater übernahm und zudem dessen Erbin Elisabeth geb. Pott heiratete, scheint plausibel, dass er zumindest zeitweise dort wirkte. Der Verfasser geht derzeit davon aus, dass Meinders Hof sein Amts- und Wohnsitz gewesen und geblieben ist. Dementsprechend wurden Meinders wurden ihm und seiner Frau hier vier Kinder geboren, von denen zwei Töchter an den Blattern (Pocken) starben. In den Räumen des Haupthauses wird Meinders seine Bibliothek eingerichtet haben, die mehrere tausend Bände umfasst haben soll. Hier verbrachte er viele Stunden mit seinen Forschungen und dem Schreiben von Essays zu aktuellen Themen, zum Beispiel gegen die noch immer stattfindenden Hexenprozesse. Und er empfing seinem Hause kluge Gesprächspartner und hohe Besucher, wie etwa eine Bergbau-Kommission aus Sachsen, die in Halle nach Kohle graben wollte. All dies geschah unter dem Dach von Meinders Hof. Vgl. Vgl. Peter Florens Weddigen: Westfälisches Magazin zur geographischen Historie und Statistik, Band I, Heft III, S. 70ff. , Lemgo/Leipzig 1784. Digitalisat unter URL: http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/image/2108424_002/77/#topDocAnchor [online am 11. Juni 2021].
[7] Zur Geschichte der Waldbegräbnisse am Lotteberg, speziell zu Familie Potthoff vgl. Digitales Geschichtsmuseum Haller ZeitRäume/Geschichtspfade/Geschichtspfad Waldbegräbnisse > Potthoff im Walde; URL: https://www.haller-zeitraeume.de/geschichtspfade/geschichtspfad-waldbegraebnisse [online am 14. Juni 2021].
[8] Amtlich belegt ist, dass die Schwestern Wilmanns das Anwesen besaßen. Von der Exsitenz des Mädchenpensionats ist allein in einem Zeitungsartikel zu lesen, der seine Quellen nicht nennt: Hesse, ebd.
[9] Heute Ladenzeile in der Bahnhofstraße südlich Rathaus I mit Fotostudio Mörke, Friseur und Textilgeschäft.