Napoleon war gerade erst besiegt, als im Jahre 1814 ein junger Mann jüdischen Glaubens an der Langen Straße Nr. 20 in Halle eine „Rohproduktenhandlung“ aufmachte. Der 25jährige hieß Philipp Stern und er hätte sich kaum vorstellen können, dass das neue Geschäft 123 Jahre lang seinen Namen tragen würde.
Das Foto entstand etwa 100 Jahre nach der Firmengründung. Auf der rechten Straßenseite sieht man das stattliche Ziegelhaus der Sterns, eine Kutsche hält gerade davor. Vielleicht bringt sie Lumpen, die in Sterns Fabrik „recycelt“ werden.
Mehr über Familie Stern und ihre Firma, über ihr Engagement in Halle und ihre Emigration nach Amerika 1939 erfahren Sie unter…
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Gerade erst war Napoleon besiegt worden, als im Jahre 1814 Philipp Stern, ein junger Mann jüdischen Glaubens, an der Langen Straße Nr. 20 in Halle eine „Rohproduktenhandlung“ aufmachte. Kaum hätte er sich vorstellen können, dass das neue Geschäft 123 Jahre lang seinen Namen tragen würde: „Ph. Stern“, ab 1888 „Ph. Stern OHG“.
Philipp Stern und seine Braut Julie Windmüller schlossen im Jahr 1818 den Bund der Ehe. Eines ihrer Kinder war der 1823 geborene Sohn namens Herz. Im gleichen Jahr erwarben Philipp und Julie Stern mehrere Gebäude an der Langen Straße (Haus Nr. 18, 20, und 20a), ein Wohnhaus für die Familie mit angeschlossenem Betrieb. Hier verblieb die Niederlassung 109 Jahre lang, bis zum Umzug in den Neubau an der Mönchstraße/Ecke Klingenhagen gleich neben der Bahnlinie. In ihrer Blütezeit, im Sommer 1920, hatte die Ph. Stern OHG bis zu 118 Beschäftigte. Damit war der Sammel- und Sortierbetrieb, im Volksmund „Lumpenbude“ genannt, für Halle ein wichtiger Arbeitgeber. Heute würde man von „Textilrecycling“ sprechen. Textilien, und besonders die handgesponnen und handgewebten Stoffe, waren ein kostbarer Rohstoff. Die Fasern dienten unter anderem der Papierherstellung. Auch Decken, Füll- und Polstermaterial wurden daraus gemacht.
Doch im Jahr 1937 fand die Firmengeschichte ein Ende: Unter dem Druck der politischen Verhältnisse (vgl. Halle im Nationalsozialismus) sahen sich Robert Stern und sein Sohn Herbert, die Inhaber der dritten und vierten Generation, gezwungen, die Firma zu verkaufen.
Der Kaufmann Philipp Stern (*1789) und seine Frau Julie sowie sein jüngerer Bruder Feidel Stern (*1796) zählten zur gehobenen Gesellschaft der Stadt. Sie waren integriert, genossen Respekt und Ansehen. So gehörten Philipp und Feidel zum Beispiel zu den 43 Gründungsmitgliedern des exklusiven „Vereins der Bürger in Halle von 1850“. Nach den Vereinsstatuten verpflichteten sie sich dadurch zu sozialem Engagement, etwa in der Armenpflege. Wann immer es in Halle für einen guten Zweck zu spenden galt, fand sich der Name Stern in den Sammellisten.
Beruflich gingen die Brüder Philipp und Feidel getrennte Wege. Feidel war als Pfandhändler tätig, später auch als Uhrmacher und Viehhändler. Das Handelshaus „Ph. Stern“ beschäftigte sich im Laufe seiner Geschichte nicht nur mit textilen Abfällen aller Art, sondern auch mit Bettfedern und Töpferwaren. Außerdem importierten die Sterns Stoffe, Tuche und Kolonialwaren, auch Getränke waren zu haben. Per Inserat im Haller Kreisblatt bot man am 26. April 1882 gar „neueste Tapetenmuster, Knochenmehl, Saat- und Futterhafer“ zum Kauf an. Das Handelshaus war also „breit aufgestellt“. Die gute Lage an der Chaussee von Osnabrück nach Bielefeld trug ebenfalls zum Erfolg bei.
Philipp Stern führte sein Unternehmen 48 Jahre lang. Erst 1862 gab der 73jährige die Verantwortung an seinen jüngsten Sohn Herz Stern (1823-1889) weiter. Es war die Zeit der großen Auswanderungswellen, und die schufen ein neues Geschäftsfeld für den so mühsam gewordenen Broterwerb: man wurde Auswanderungsagent ― wie Herz Stern. Er eröffnete eine Agentur für Auswanderer und vermittelte Lebensversicherungen.
Im Jahr 1888 ging der Betrieb in dritter Generation auf die Brüder Victor (1861-1932) und Robert Stern (1864 -1949) über. Zuvor hatte Herz Stern ― er war jetzt 65 Jahre alt ― die Rechtsform der Firma Ph. Stern in eine Offene Handelsgesellschaft (OHG) geändert und seine beiden Söhne als Gesellschafter eingesetzt. Das galt für den Hauptsitz in Halle, den Robert leitete und für das Zweigwerk in Hannover. Dort gab es an der Schulenburger Landstraße Nr. 29 eine gleichartige Filiale, und die führte Victor Stern.
Es ist belegt, dass Robert Stern und seine Ehefrau Paula, geb. Isaak, mit den in Halle geborenen vier Kindern Herbert, Thea, Anna und Fritz am 13. April 1904 nach Bielefeld umgezogen sind.
Warum die Übersiedlung nach Bielefeld und die Eintragung eines Verwaltungsbüros (als „Zweigniederlassung“) im dortigen Handelsregister erfolgte, darüber lässt sich nur spekulieren: Wie die Sterns, so hatte es damals auch viele andere jüdische Familien und Betriebe an den prosperierenden Handels- und Industriestandort Bielefeld gezogen. Die spätere Großstadt (seit 1930) war natürlich in mancherlei Hinsicht attraktiver als die Kleinstadt. Vielleicht hat auch die Aufgabe der Haller Synagoge 1903, die von der Familie Stern regelmäßig besucht wurde, eine Rolle gespielt. In der Leineweberstadt hingegen war seinerzeit gerade ein neues jüdisches Gotteshaus im Bau und am 20. September 1905 eingeweiht.[1]
Alle Entscheidungen für die Ph. Stern OHG wurden fortan also in Bielefeld getroffen. Unter anderem diese: 1908 verkaufte die Familie zwei Grundstücke am Bergkamp in Halle nahe der „Kaffeemühle“ von zusammen etwa 1,5 ha für 4.900 Mark an den Haller Verschönerungsverein.
Der Weltkrieg und die Jahre danach haben der Firma offenbar zu erheblichem Wachstum verholfen. In der Kriegschronik von Rektor Christian Frederking ist von der bedeutenden Rolle der „Stern’schen Lumpenfabrik“ zu lesen, die als Sortierbetrieb riesige Mengen an Textilien spendete, als die deutsche Kaiserin 1915 die „Reichswollwoche“ ausrief. Die eingesammelten Materialien dienten zur Herstellung von wärmender Kleidung für Bedürftige und von Decken für die Frontsoldaten. In der genannten Chronik glaubt Frederking zu wissen, Stern habe dabei „ein Bombengeschäft gemacht“. Dass Herbert Stern auch Kriegsteilnehmer war, wie sein 1914 gefallener Haller Kamerad und Glaubensbruder Joseph Isenberg, erwähnt er nicht.
Am 10. Februar 1916 stiftete die Firma Philipp Stern „100 Karten zur Benagelung unseres Kriegswahrzeichen“ und 1917 habe Fabrikbesitzer Robert Stern eine U-Boot-Spende von 200 Mark überwiesen.[2] Zum Vergleich: In ganz Halle waren damals lediglich 846 Mark zusammengekommen. Im Februar 1918 wurde Stern sogar zum Rüstungsbetrieb erklärt. Das jüdische Unternehmen hat die Kriegslasten der Heimatfront folglich mitgetragen. Was Rektor Frederking nicht hinderte, Stern zu den „Kriegsgewinnlern“ zu rechnen.
Bis 1933 zog die Familie Stern am neuen Wohnsitz Bielefeld mehrmals um. Beim Zuzug in die Arndtstraße, im Jahr 1904 war Robert Stern 40 Jahre alt. Sein zehnjähriger Sohn Herbert (1894-1980) konnte nun das Gymnasium in Bielefeld besuchen.
Mit 16 Jahren ging Herbert nach Berlin und war am 2. August 1914, am 1. Mobilmachungstag, aus Paris (!) kommend in Bielefeld zurück. Herbert Stern diente anschließend seinem Vaterland als Soldat. Seine Familie lebte inzwischen ― seit 1908 ― an der Gütersloher Straße 17 a.
Aus dem Weltenbrand kehrte Herbert 1918 heim in das elterliche Haus. Er vermählte sich 1921 mit einem Fräulein Maria Günter, und als im Jahr darauf Töchterchen Marlies (1922-1981) geboren war, bezog die junge Familie in der Bielefelder Bergstraße 10 ihre ersten eigenen vier Wände.
In diese Zeit fällt der Betriebsneubau in Halle. Das Werk wurde 1923 an der Mönchstraße 12 (alte Anschrift, später Klingenhagen Nr. 28) errichtet, wo die Ph. Stern OHG über ein 1,7 ha großes Grundstück mit Gleisanschluss verfügte. Herbert, der 1924 Teilhaber wurde, dürfte den neuen Betrieb bereits mitgeplant haben. Er hatte kurzzeitig Wirtschaft studiert und sprach fließend Englisch. Später würden diese Kenntnisse lebenswichtig werden…
Herberts erste Frau Maria verstarb 1924, als die kleine Marlies zwei Jahre alt war. Der verwitwete junge Vater traf einige Zeit später, beim Tennisspiel in Bad Salzuflen, die sportliche Helene Pieck aus Blomberg. Mit Freunden spielte man zunächst gemischte Doppel, lernte sich näher kennen und im Jahr 1927 heirateten Herbert und Helene. Zunächst waren Helenes Eltern nicht glücklich darüber, dass ihre Tochter in eine jüdische Familie einheiratete und überdies einen Witwer mit Kind. Aber die beiden liebten sich innig. Die junge Familie wuchs um die Töchter Lore (*1928) und Eva (*1931) auf fünf Personen an. Für gut zwei Jahre fanden sie 1931 Aufnahme bei den Großeltern Stern an der Herforder Straße 17, wo diese seit 1929 wohnten.
Robert Stern und seine Ehefrau Paula wechselten 1933 in die Paulustraße 28. Das 1904 erbaute dreigeschossige Haus war ihre letzte Bielefelder Adresse. Gleichzeitig hatte die Familie des Sohnes Herbert das gemeinsame Zuhause an der Herforder Straße verlassen und lebte fortan in dem Mehrfamilienhaus Detmolder Straße 129. Ihre Nachbarn waren der jüdische Textilkaufmann Alfred Gottschalk, mit seiner Frau und ebenfalls drei Töchtern.
Die jungen Sterns waren nicht besonders religiös, erinnerte sich Lore später. Besondere Anlässe waren Kindergeburtstage, zu denen das Geburtstagskind ein Blumenkränzchen trug, oder auch die Einschulung mit bunter Schultüte. Sterns feierten auch christliche Weihnachten mit Klavierspiel und Bescherung. Warum sie nicht wie die Mitschülerinnen zum BDM bzw. zu den Jungmädeln durfte, verstand Lore nicht und es bekümmerte sie.
Im Jahr 1935 überzeugte Robert Stern seinen Sohn Herbert, mit seiner Familie das nationalsozialistische Deutschland zu verlassen. Daraufhin reiste Herbert 1935 in die USA um Kontakte zu knüpfen, eine Arbeit zu finden – möglichst als Kaufmann in der Papierbranche – und die Emigration vorzubereiten.
Währenddessen verbrachte Helene mit den Mädchen einige Wochen auf Langeoog – sorgloses Buddeln im Sand und Planschen im Meer. Eine Tante bot ihnen Quartier. Mit ihrem blonden Haar fielen zumindest Helene und Töchterchen Eva unter den Urlaubern nicht weiter auf.
Da Juden bei ihrer Emigration aus Deutschland kein Geld mitnehmen durften, kauften Sterns nun Sachwerte, wie neue Möbel, gute Tischwäsche oder Kinderkleidung – Dinge, die zu dieser Zeit noch mit verschifft werden konnten.
Am 24. Juli 1936 schlug für Herbert und die seinen die Stunde des Abschieds vom Vaterland ― einem Vaterland, das dem letzten Eigentümer der Haller Firma, seiner Frau und seinen drei Töchtern im Dezember 1938 noch die Staatsangehörigkeit entzog. Die Familie ging an Bord der „Westernland“, einem großen Passagierdampfer des jüdischen Hamburger Reeders Arnold Bernstein. Als das Schiff ablegte, mit dem fernen Ziel New York, ließ die achtjährige Lore ihre Haare fröhlich im Wind flattern. So eine schöne Reise! Sie verstand nicht, warum die Mutter weinte…
Herbert Stern hatte seinem Vater eine Vollmacht hinterlassen, damit dieser angesichts der zunehmenden existenziellen Bedrohung der jüdischen Bevölkerung den verabredeten Verkauf der Ph. Stern OHG vollziehen konnte. Anschließend sollte der Vater in die USA nachkommen, so war es geplant.
Am 27. August 1937 erschien der Haller Notar Heinrich Austermann im Hause an der Paulusstraße, um in Anwesenheit der jeweiligen Firmenvertreter, Robert Stern und Hermann Borgers, den Verkauf der Ph. Stern OHG zum Preise 125.000 Reichsmark an die Hermann Borgers KG in Bocholt zu beurkunden. Mit Borgers hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg Geschäftsbeziehungen bestanden. Sie wurden 1914/15 kriegsbedingt intensiviert.
Aus der Hauptniederlassung der Firma Ph. Stern wurde zunächst die Firma „Ph. Stern – Zweigniederlassung Johann Borgers KG“ und ab dem 1. Januar 1939 die Firma „Johann Borgers KG“. Der Name Philipp Stern war damit nach 123 Jahren erloschen.
Im Jahr 2007, also 70 Jahre später, gab Borgers den Haller Standort endgültig auf.
Die schöne Synagoge in der Turnerstraße war nach dem Pogrom im November 1938 vollständig ausgebrannt. Spätestens jetzt war deutlich geworden, dass die Lage für Juden in Deutschland lebensbedrohlich wurde. Aber Robert und Paula Stern, die ganz in der Nähe der Synagoge wohnten, konnten noch immer nicht in die USA ausreisen: Sterns Konten waren gesperrt, daher hatte er seine Steuern nicht zahlen können und es waren Schulden entstanden. Trotzdem verlangte das Finanzamt Bielefeld im Dezember 1938 knapp 135.000 Reichsmark von ihm, errechnet aus der fälligen Einkommenssteuer sowie einer vom NS-Regime eingeführten „Judenvermögensabgabe“ und einer „Reichsfluchtsteuer“. Als eine weitere Schikane wurde ab Januar 1939 ein rotes „J“ in die Reisepässe von Jüdinnen und Juden gestempelt – damit waren diese einmal mehr gebrandmarkt.
Robert Stern versuchte im Dezember 1938 die Freigabe seiner Konten zu erwirken, um die nötigen Barmittel für die Ausreise zu erlangen. Anfang 1939 verlegte er sein Bielefelder Büro für kurze Zeit nach Halle zurück, wohl um den restlichen Besitz zu veräußern.[3]
Neuer Eigentümer des Stern’schen Wohnhauses, Lange Straße Nr. 18, war bereits 1930 der Friseur Ludwig Siegel geworden. Die Immobilie Lange Straße Nr. 20a hatte Robert Stern 1936 an den Mechaniker Robert Steffmann verkauft, der dort eine Autowerkstatt mit Tankstelle eröffnete. Die Firma Borgers hatte, wie bereits erwähnt, 1937 den Betrieb in Halle übernommen – möglicherweise sogar auf Sterns Bitte hin.
Was auch Familie Isenberg aus Halle verzweifelt und vergeblich versucht hatte, nämlich aus Deutschland zu entkommen, gelang den Sterns: Sie konnten den von den NS-Behörden geforderten Preis für ihr Überleben aufbringen, im Wert eines florierenden Unternehmens und des Lebenswerkes mehrerer Generationen.
Als Robert Stern die so teuer erkaufte Auswanderung endlich gesichert hatte, begab er sich am 22. März 1939 mit seiner Ehefrau Paula auf die Schiffsreise nach Übersee.[4]
Das Passagierschiff Manhattan legte im Hamburger Hafen ab und steuerte zunächst das britische Southampton an. Hier gingen 80 unbegleitete jüdischstämmige Flüchtlingskinder an Land. Anschließend nahm das Schiff Kurs auf Long Island, New York – bei ihrer Ankunft passierten Robert und Paula Stern die Freiheitsstatue…
Der 74jährige Robert Stern lebte in der neuen Heimat noch elf Jahre, mit Ehrefrau Paula, Kindern und Enkelkindern, ehe er 1949 im New Yorker Stadtteil Queens starb – mit 85 Jahren, wie einst sein Großvater Philipp Stern.
Herbert Stern war es möglich, auch in den USA wieder als Kaufmann in der Papierbranche zu arbeiten, zumal er fließend Englisch sprach. Seine Familie führte in der Nähe von New York ein bürgerliches Leben und trat in eine christliche Methodisten-Gemeinde ein.
Helene starb 1977, Herbert 1980 in Lowell/Massachusetts USA. Auch er wurde 85 Jahre alt.
Lore lernte – gefördert von ihrer Lehrerin – innerhalb eines Jahres Englisch. Sie besuchte die High School und wurde Bibliothekarin. Für ihr Engagement um Schulbibliotheken erhielt sie mehrere Auszeichnungen. Um 2015 erzählte Lore ihrem Sohn ihre Lebensgeschichte. Dieser filmte seine Mutter dabei und stellte den Film, versehen mit vielen Familienfotos, ins Internet: Familystories Lore Stern (youtube). Lore verbrachte ihre letzten Lebensjahre bis 2018 in Albany/New York.
Auf dem jüdischen Friedhof [5] am Ende der Winnebrockstraße in Halle tragen von den 46 Grabmalen, die im Jahre 2019 vorhanden waren, allein 13 den Namen „Stern“.
Helene Stern, geb. Herz (†1831) und Ehemann Raphael (†1844), die Eltern von Philipp und Feidel Stern, sind nicht darunter. Wann genau das Ehepaar nach Halle zugezogen war, ist unbekannt. Es wird angenommen, dass der Firmengründer Philipp Stern bereits in Halle geboren wurde.
In der Reihenfolge ihrer Sterbejahre, wie sie aus den Denkmalinschriften hervorgehen, sind im Folgenden die 13 Personen mit dem Nachnamen „Stern“ einschließlich ihrer Familienzugehörigkeit aufgeführt.
1. Julie Stern geb. Windmüller († 1854), Ehefrau von Philipp Stern (Nr.3), dem Gründer der Ph. Stern Rohproduktenhandlung;
2. Amalie Stern († 1856), geb. Bendix, erste Ehefrau von Herz Stern (Nr. 7);
3. Philipp Stern († 1874), Gründer der Firma Ph. Stern an der Langen Straße 20 – diesen Namen kannte jeder Haller mindestens während der 123 Jahre des Bestehens;
4. Regina Stern († 1878), geb. Reinhaus, Ehefrau von Feidel Stern (Nr. 5), dem Bruder von Philipp Stern;
5. Feidel Stern († 1882), sieben Jahre jüngerer Bruder von Philipp (Nr. 3) und wie dieser 1842 Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde zu Halle;
6. Johanna Stern († 1882), Tochter von Regina und Feidel Stern;
7. Herz Stern († 1889), Sohn von Nr. 3 und Erbe der Firma Ph. Stern, Ehemann von Nr. 2 und in zweiter Ehe († 1860) von Nr. 8;
8. Hulda Goldstein geb. Stern († 1891), Schwester von Victor, Robert und Eugenie Stern;
9. Helene Stern († 1900), Tochter von Regina und Feidel Stern;
10. Pauline Stern († 1901), Tochter von Regina und Feidel Stern;
11. Raphael Stern († 1901), Sohn von Regina und Feidel Stern;
12. Bertha Stern († 1902), geb. Dalberg, zweite Ehefrau von Herz Stern (Nr. 7);
13. Emma Stern († 1921), geb. Rosenthal, Ehefrau zu Nr. 10.
Erwähnenswert ist außerdem: Die Rentnerin Emma Stern, geb. Rosenthal, die Ehefrau von Raphael Stern – einem der Söhne von Feidel Stern – lebte in dem Haus Wertherstraße 16. Nach ihrem Tod erwarb der Bäcker Heinrich Diekmann das Anwesen.
Zwischen März 1900 und Dezember 1901 starben drei der zehn Kinder von Regina und Feidel Stern: Helene, Pauline und Rafael. Danach hatte die jüdische Gemeinde keine zehn erwachsenen männlichen Mitglieder mehr und musste deshalb die Synagoge 1903 schließen.
Am 8. Juni 2021 wurden für die Familie Stern Stopersteine in Bielefeld verlegt, für Robert und Paula vor dem Haus Paulusstraße 28, für Herbert, Helene und ihre Kinder vor dem Haus Detmolder Straße 129. In Messing gegossen ist nun zu lesen: Flucht – USA.
Martin Wiegand, Wolfgang Kosubek & Dr. Katja Kosubek
Halle, den 8. Juni 2021
Adressbücher des Amtes Halle von 1901, 1914 und 1938.
Adressbuch von Hannover, 1904.
Volker Beckmann: Die jüdische Bevölkerung der Landkreise Lübbecke und Halle i.W. (1815-1945), 2015.
Albert Buck: Die Haller Juden, in: Jubiläumsband 100 Jahre Haller Kreisblatt, 1982.
Christian Frederking: Kriegschronik 1914 – 1924, Manuskript, Sammlung Tappe im Kreisarchiv Gütersloh, transkribiert und veröffentlichi im virtuellen Geschichtsmuseum der Stadt Halle 201.
Uwe Heckert: Halle in Westfalen, Geschichte(n) einer Stadt am Teutoburger Wald, 2005.
Heinrich Meise: Die Stadt Halle in Westfalen, 1968.
Monika Minninger: Jüdische Schüler des Bielefelder Gymnasiums, 2008.
Stadtarchiv Bielefeld: Bestand 104,3 des Einwohnermeldeamts Bielefeld, Nr. 18: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958
Stadtarchiv Halle (Westf.), Bestände A,B,C.
sowie
Festschrift der Firma Borgers zum 150. Jubiläum im Jahre 2016
und
Lebenserinnerungen von Lore Stern: Familystories Lore Stern (youtube).
Wir Danken der Stolperstein-Initiative Bielefeld e.V. für die gute Zusammenarbeit.
[1] Die Geschichte der Synagoge an der Turnerstraße in Bielefeld ist nachzulesen auf der Website des Stadtarchivs Bielefeld unter https://www.bielefeld.de/stadtarchiv
[2] Zur U-Boot-Spende vgl. Christian Frederking: Kriegschronik (1914-1924) online unter www.haller-zeitraeume.de/Frederking
[3] Eine Haller Zeitzeugin, die in der Mönchstraße aufwuchs (*1934), erinnert sich, dass sich die Verwaltung der Firma in den 1930er Jahren in dem Doppelhaus an der Mönchstraße unmittelbar neben dem Stellwerk befand. Ob dort auch jemand wohnte, vermochte sie nicht mit Bestimmtheit zu sagen.
[4] Robert Stern aus „Halle, Germany“ und seine Ehefrau Paula wurden bei ihrer Ankunft 1939 auf Ellis Island von den amerikanischen Behörden registriert. Im Jahr 1936 hatten auch Herbert und Helene Stern mit ihren drei Mädchen hier amerikanischen Boden betreten. Alle Einträge sind zu finden im Portal der Statue of Liberty Foundation. https://www.libertyellisfoundation.org/passenger-result
[5] Der Jüdische Friedhof in Halle (Westf.) ist in der Urvermessung von 1824 als „Kirchhoff der Juden“ enthalten und nach dem Stand von 2019 bei epidat- Epigraphische Datenbank des Steinheim Instituts für Deutsch-Jüdische Geschichte in Essen, dokumentiert.