Hammerschläge mischten sich in die Musik. Die Garnisonskappelle spielte, während im Herbst 1915 auf dem Schulplatz an der Rosenstraße ein Kriegswahrzeichen genagelt wurde. Aus grünen, goldenen und eisernen Nägeln hämmerten die Haller, darunter ganze Schulklassen und Firmenbelegschaften, das Bild einer Eiche. Ein jeder durfte sich anschließend in ein Nagelbuch eintragen. Der Erlös der Nägel sollte den vielen Kriegsinvaliden zugute kommen, die von der Front zurückkehrten. Erhalten blieb nur diese Postkarte..Das 1,80 x 1,20 m große Nagelbild gilt als verschollen. Ist es das wirklich?
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Im März 1915 entstand von Wien ausgehend die Idee, zugunsten von Kriegsinvaliden und -hinterbliebenen öffentlich Nagelbilder und – figuren zu erstellen. Der Verkauf der Nägel für diese so genannten „Kriegswahrzeichen“ war eine der vielfältigen Sammelaktionen während des Ersten Weltkrieges. In fast allen deutschen Städten wurden solche Kriegsnagelungen durchgeführt.[1]
Eine „Eiserne Eiche“ für die Kriegsinvaliden
Der Hammer lag bereit und auch grüne, goldene und eiserne Nägel. Die Menschenmenge hatte sich an diesem Sonntagmittag auf dem Haller Lindenplatz versammelt, um die Enthüllung ihres „Kriegswahrzeichens“ zu erleben. Es war der 31. Oktober 1915 – Deutschland befand sich seit mehr als einem Jahr im Krieg mit der Welt. Todesanzeigen füllten die Zeitungen, und immer häufiger kehrten junge Männer verwundet an Körper und Seele nach Halle zurück. Ihnen sollte der Erlös des Kriegswahrzeichens zugute kommen.
Am Kriegerdenkmal hatten Offizierskorps und Mannschaften der Haller Garnison Aufstellung genommen, unweit davon standen die Verwaltungsbeamten und die Schüler der Oberklassen mit ihren Lehrern. Manche der Anwesenden trugen schon ihre „Nagelkarte“ in der Tasche.
Aus der Zeitung[2] wusste man bereits, dass als Nagelbild eine „heraldische Eiche“ zu erwarten war, gestiftet von Ferdinand Rolff, dem Fleischfabrikanten. Wie aber würde sie aussehen?
Die Postkarten, die das Wahrzeichen zeigten, waren noch nicht im Verkauf. Und lag das „Nagelbuch“, in das sich ein jeder nach seinen Hammerschlägen eintragen durfte, schon neben dem mannshohen Nagelbild?
Die feierliche Enthüllung des Kriegswahrzeichens
Nach dem Gottesdienst, pünktlich um 12 Uhr, stimmte der Schülerchor das Lied „Lobe den Herrn“ an, begleitet von der Bataillonskapelle.[3] Nun trat Landrat Dr. Roehrig vor die verhüllte Holztafel und leitete die Weihestunde ein. Mit erhobener Stimme verglich er Deutschland mit einer knorrigen Eiche, die den Nachbarländern zu stark geworden sei und deren Äste die Feinde darum abhacken wollten. Deutschlands Handel, Industrie und Reichtum wollten sie lahmlegen, den deutschen Militarismus zertrümmern. „Doch nie“, zitierte er abschließend den Kaiser, „ward Deutschland überwunden, wenn es einig war.“[4] Roehrigs Treuebekundung auf Kaiser Wilhelm II. gipfelte in ein dreifaches „Hurrah!“, in das die Hallerinnen und Haller einfielen.
Jetzt trat Ferdinand Rolff, der Stifter, nach vorn und übergab das Kriegswahrzeichen, eine stilisierte, 1,80 x 1,20 Meter große Eiche, die er bei dem Bildhauer Carl Stock in Frankfurt am Main bestellt hatte, mit feierlichen Worten an das Amt Halle. Dazu sang der Schülerchor das Lied „Rauschet ihr Eichen“.
Auch eine dritte Rede mussten die Kinder nun noch abwarten, bevor es endlich an die „Nagelung“ ging. Amtmann Wolff gemahnte, dass jeder seine „opferwillige Liebe“ zum Vaterland beweisen müsse – so wie die „Feldgrauen“ an der Front, auf der Wacht und in den Lazaretten. Das wussten die Haller Kinder aber bereits.
„Deutschland, Deutschland über alles…“ wurde zum Abschluß angestimmt und endlich traten die Honoratioren nacheinander mit dem Hammer an das Kriegswahrzeichen. Ein jeder rief einen Sinnspruch, bevor er seinen Nagel einschlug:
Während der Nagelung verlas Amtmann Wolff noch ein Grußwort des in Halle hochverehrten Feldherrn Generaloberst Alexander von Kluck[5], mit einem Dank an den Stifter des Nagelbildes. Diesem schlossen sich die Zuschauer mit einem dreifachen „Hoch!“ auf Ferdinand Rolff an, so berichtet das Haller Kreisblatt.
Ob einer der lebenslänglich „Kriegsbeschädigten“ bei der Feier anwesend war, wird nicht erwähnt. Schon zwei Tage darauf wurden die nächsten Rekruten aus Werther und Halle in „Brunes Turnhalle“ vereidigt.
Nageln in „opferwilliger Liebe zum Vaterland“…
Zu festgelegten Stunden fanden nun die so genannten Nagelungen statt. Dafür wurde das Kriegswahrzeichen auf dem späteren von-Kluck-Platz aufgestellt, und die Bataillonskapelle spielte.[6] Die vorher erworbene „Nagelkarte“ musste mitgebracht werden. Sie wurde vor Ort abgestempelt und berechtigte zum Eintrag in das „Eiserne Buch“, das im Amtshaus (heute Rathaus II) auslag. Für den wachsenden „Eisenpanzer“ der Eiche wurde im Haller Kreisblatt massiv und erfolgreich geworben:
Betriebe stifteten Nägel für ihre Arbeiter, so etwa die Firma Phillip Stern. Den Kindern der Volkschule spendierte Karl Rolff je einen Nagel. Rektor Christian Frederking und seine Höheren Privatschüler zogen „mit klingendem Spiel“ auf den Platz. Und auch die Schulen der Landgemeinden des Amtes Halle, wie Bokel, Patthorst und Sandforth, machten sich auf den Weg zur Kriegsnagelung in Halle.
Das Haller Kriegswahrzeichen, die „Eiserne Eiche“, wurde offenbar fertiggestellt. Im Stadtarchiv Halle (Westf.) findet sich eine Bilanz aus dem Jahr 1919: Die Nagelung hatte 4.221,38 Mark eingebracht.[7] Über die Verwendung des Geldes ist nichts bekannt. Das Eiserne Buch und Nagelbild gelten als verschollen. Sind sie das tatsächlich?
Recherche: Martin Wiegand, Text & Layout: Katja Kosubek
[1] Vgl. Dietlinde Munzel-Everling: Kriegsnagelungen – Wehrmann in Eisen, Nagel-Roland, Eisernes Kreuz, Wiesbaden 2008, S. 3ff.
[2] Vgl. Haller Kreisblatt vom 13. Oktober 1915.
[3] Vgl. Haller Kreisblatt vom 1. November 1915.
[4] Ebenso lautete die Inschrift des Kriegswahrzeichens, die auf der Postkarte nicht wiedergegeben ist.
[5] Der in Halle hochverehrte Generaloberst Alexander von Kluck (1846-1934) war ein Bruder des Haller Pastors Wilhelm Kluck (1841-1912). Im Jahr 1916 wurde der Platz an der Langen Straße vor Kiskers Bogen nach ihm benannt. Heute steht dort das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, und der Platz trägst seit 2019 den Namen Familie Isenberg-Platz.
[6] Vgl. Haller Kreisblatt vom 6./8. November, 23. Dezember, 10. Februar 1915.
[7] Stadtarchiv Halle (Westf.): Akte C 675 und C 958.