Als die Kühe noch Hörner hatten und in Tatenhausen die ersten Hakenkreuzfahnen wehten, ließ das Haller Kreisblatt einen Film drehen, um sein 50jähriges Bestehen zu feiern. Im ersten Teil geht es um das beliebete Tierschaufest, das seit 1844 in Tatenhausen Tradition hatte. Der zweite Teil, Haller Kreisblatt 1932, zeigt, wie zuverlässig die Tageszeitung über die großen Neuigkeiten aus dieser kleinen Welt berichtete – vom Notizblock des Redakteurs bis zur gedruckten Lokalausgabe. Die gemächliche Kameraführung sowie Mode und Alltagsgegenstände gewähren einen Blick die Zeit vor 90 Jahren. Wieder entdeckt und digitalisiert wurde der Film von Dieter Luedtke. Film ab!
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Der Film beginnt mit flackernden Bildern… Wir blicken fast 90 Jahre zurück – bis in die Weimarer Republik. Das Schloss Tatenhausen scheint unverändert, aber die fröhlichen Besucherinnen und Besucher des „Tierschaufestes 1932“ werden wohl nicht mehr leben, bis auf die Jüngsten. Mit ihnen sind die Erinnerungen an diese Zeit verloren gegangen. Damals stadtbekannte Gesichter sind heute weitgehend vergessen – oder nicht? Vielleicht erkennen Sie ja den einen oder die andere – vielleicht können Sie uns sagen, um welche Uniformen und welche Wimpel es sich handelt – teilen Sie Ihr Wissen mit uns! Kontakt…
Was zeigt der Stummfilm „Tierschaufest 1932“?
Der Film nimmt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit zum Wasserschloss Tatenhausen bei Halle, wo auf dem Waldplatz am Schloss Jahr für Jahr das Tierschaufest stattfand. Ins Leben gerufen wurde es im Jahr 1844 vom Landwirtschaftlichen Verein und dessen Schirmherren, den Grafen von Korff-Schmising auf Tatenhausen. Zeitlich lag das Fest immer zwischen Heuernte und Getreideschnitt, also Anfang Juli.
Das Tierschaufest war ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis im ländlich geprägten Kreis Halle. Zeitzeugen meinten, es gäbe „in der ganzen Provinz Westfalen nichts Vergleichbares“ (Albert Buck). Man zeigte sich gern zwischen Preisverleihung und Platzkonzert, Karussell und Schießbude, Festessen und Polonaise – natürlich im guten Kleid oder im Anzug mit Binder und fast immer mit Hut… Eine gute Gelegenheit, um auf Brautschau zu gehen. Das Tierschaufest war ein bäuerlicher Heiratsmarkt für das ganze Ravensberger Land. Den Höhepunkt bildeten der Festball am Abend und das große „Brillant-Feuerwerk“ bei Einbruch der Dunkelheit. Tatenhausens Gastwirt Hoppe freute sich – er machte an diesem Tag den Umsatz des Jahres!
Gerne ließ man sich auf dem Festplatz vom Fotografen ablichten, und es wurden Postkarten vom Tierschaufest in die Umgebung verschickt, um allen zu zeigen: „Ich war da!“
Ab 1945 schrumpfte das Tierschaufest für viele Jahre zu einer reinen Züchterveranstaltung. Heute gibt es in Tatenhausen wieder regelmäßig den „Tag der Landwirtschaft“, gut besucht und mit vielen spielerischen Aktionen, aber weniger oft als damals.
Der Stummfilm von 1932 ist professionell gemacht. Die Bremer Produktinsfirma Müller & Gersiek arbeitete mit Drehbuch: Es gibt gut geplante Kameraeinstellungen und manchmal sogar eine Choreographie für die auftretenden Personen. Eingeblendete Zwischentexte erläutern die bewegten Bilder des Stummfilms. Gelegentlich ist der Reporter des Haller Kreisblatts im Bild. Er dient als Verweis auf den zweiten Teil des Films, Haller Kreisblatt 1932, der die mediale Verarbeitung des Ereignisses zeigt, bis hin zur Auslieferung der druckfrischen Zeitung mit der Schlagzeile „Tierschaufest in Tatenhausen“.
Man sieht dem Film nicht auf den ersten Blick an, dass er in einer wirtschaftlichen und politischen Krisenzeit gedreht wurde, als sich die nationalsozialistische Diktatur bereits ankündigte. Die SPD warnte damals vehement vor Hitlers Partei, doch bei den Gemeindewahlen im nahen Lippe war die NSDAP bereits stärkste Kraft geworden. Auch in Halle gab es seit Oktober 1931 eine NSDAP-Ortsgruppe.
Wer den Film aufmerksam anschaut, entdeckt die Zeichen der Zeit: Den Jungbauern mit Hitlerbärtchen, die vereinzelten Hakenkreuzbanner und die marschierenden Hitlerjungen – ob sie aus Halle kamen?
Interessant sind auch die Mode und die technischen Errungenschaften der Zeit. Aber schauen Sie selbst!
Der Film zeigt folgende Szenen:
• Es ist Frühjahr, die Apfelbäume blühen. Das Wasserschloss Tatenhauen wird vorgestellt. An der Gräfte, unmittelbar neben dem Torhaus, wird als idyllische Inszenierung eine Wäscherin platziert. Ein Schwan kommt vorbei.
• Über den Schlossteich rudern junge Männer in einem Boot. Im Hintergrund wehen Fahnen, eine davon mit Hakenkreuz. Das große Festzelt ist bereits aufgebaut.
• Auf dem Hof unweit der Rentei werden früh morgens ein Bulle und ein Pferd gestriegelt. Zur Arbeitskleidung der Knechte gehören Holzschuhe und eine schwarze oder dunkelblaue Prinz-Heinrich-Mütze. Zwei Herren in Jagdkleidung kommen auf den Hof, mit ihnen ein Jagdhund. Es folgt eine Schar Kinder in kurzen, weiten Mänteln.
• Die Aufstellung der Tiere beginnt gegen 8 Uhr morgens. Im Kreis Halle leben zu diesem Zeitpunkt rund 3.400 Pferde, darunter noch viele Zugpferde, sowie 20.500 Rinder, davon 14.500 Milchkühe und 80.000 Schweine aller Sorten. Nur die besten Zuchterfolge sind an diesem Tag in Tatenhausen zu sehen. Nun treffen schwarzbunte Kühe und Stärken (Jungkühe) ein oder werden vom Anhänger geladen. Im Hintergrund ist ein Imbißstand zu sehen „Peter Hess, Bielefeld.“.
• Die Rinder und Pferde nehmen Aufstellung am Wegesrand im Wald. Zwei ältere Herren mit gestutzten, weißen Bärten unterhalten sich, darunter möglicherweise Amtmann Karl Wolf.
• Geflügel und Kaninchen werden geprüft.
• Anschließend beginnt die eigentliche Tierschau. Prächtige Zuchtstuten und ihre Fohlen werden an den Preisrichtern (und an der Filmkamera) entlang geführt, eine Bäuerin stellt ihre leistungsstarke Milchkuh vor. Die Jury stellt der Landwirtschaftliche Kreisverband zusammen. Er wurde 1837 gegeründet, um durch Austausch und Wissensvermittling die Landwirtschaft zu „heben“ und die Erträge zu verbessern. So war 1920 an der Alleestraße in Halle die „Landwirtschaftsschule“ eröffnet worden, in der die angehenden Bauern und Bäuerinnen aus dem ganzen Kreis Halle fachlichen „Winterunterricht“ erhielten. Ein „Versuchsring“ testete seit 1929, welche Sorten auf den unterschiedlichen Ravensberger Böden am besten gediehen. Auf der Tribüne der Preisrichter kann man Landrat, Herrn von Campe, entdecken.
• In einer Menschenmenge vor dem Festzelt sind nun eine brünette Dame mit randloser heller Kappe und ein lachender Herr mit Brille, Schnauzbart und Hut auszumachen. Es könnte sich um Halles Bürgermeister Eduard Meyer zu Hoberge und seine Frau Else handeln.
• Ein Mann in SA-ähnlicher Uniform erwartet einen einmarschierenden jugendlichen Musikkorps. Ihm folgt ein Trupp Hitlerjungen mit Hakenkreuzbannern. Unter den Schaulustigen ist ein älterer Herr mit Hut, „Vatermörder“-Kragen und Binder zu entdecken, es ist der ehemaligen Rektor der Höheren Privatschule, Christian Frederking.
• Einige Herren interessieren sich für die Stände der Firmen, darunter „Landwirtschaftliche Maschinen[…]Hörste“, Schlosserei und „Landmaschinen Adolf Meyer“ aus Halle sowie „Maschinen-Celtralheizung F. u. W. Haake“ aus Halle. Findet auch in diesem Jahr wieder eine Verlosung landwirtschaftlicher Maschinen statt? Radiogeschäft Ernst Witte wirbt für „Grammophon u. Schallplatten“.
• Am Imbiss gibt es für die Haller Persönlichkeiten Bratwurst mit Brötchen und Senf.
• Ein weiterer Musikzug marschiert durchs Bild. Die Jungen tragen weiße Hemden mit offenen Kragen und Halstuch. Ihr Wimpel zeigt ein verschlungenes helles Symbol auf dunklem Grund, möglicherweise „eg“. Um welchen Jugendbund es sich handelt, ist noch nicht bekannt. Können Sie uns weiterhelfen? Kontakt…
• Preisgekrönte Pferde, Bullen und Milchkühe werden vorgeführt. Die bemerkenswerten Preisgelder können gleich im Anschluss entgegen genommen werden.
• Nun beginnt das Volksvergnügen: Eine Militärkapelle spielt, an der Schießbude ist etwas zu gewinnen, das Karussell dreht sich und ein Photograph macht Portraits vor einer Leinwand mit Landschaftsmalerei. Durchs Bild spaziert eine alte Dame, sie trägt noch die ländliche Mode der Jahrhundertwende, eine schwarze Kapotte-Haube zum guten schwarzen Kleid. Am donnernden „Hau‘ den Lukas!“ messen die Männer ihre Kräfte – wer lässt das Gewicht bis zur Glocke hinauf sausen?
Hier endet der Film „Tierschaufest in Tatenhausen 1932“. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde nicht weitergefilmt. Ob es eine Polonaise, einen abendlichen Festball und ein Feuerwerk gab?… Es geht weiter am nächsten Morgen mit dem Film „Haller Kreisblatt 1932“.
Tipp:
Wer das erstaunliche Tierschaufest-Programm von 1905 nachlesen möchte, findet unten eine Zeitungsanzeige als PDF.
Katja Kosubek im Oktober 2021
Quellen:
Haller Kreisblatt (Hg.): „50 Jahre Haller Kreisblatt“, Festschrift im Zeitungsformat, Halle (Westf.) 1932, darin Landwirtschaftsrat Kersken über die Landwirtschaft im Kreis Halle und Ravensberger Land. Die Festschrift mit Beiträgen zu verschiedenen damals aktuellen Aspekten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens im Verbreitungsgebiet des Haller Kreisblatts kann im Stadtarchiv Halle (Westf.) eingesehen werden.
Haller Kreisblatt (Hg.): „100 Jahre Haller Kreisblatt“, Festschrift im Zeitschriftenformat, Halle (Westf.) 1982; darin: Albert Buck über das Tierschaufest, S. 26 f. Die Zeitschrift mit Beiträgen zur Geschichte von Halle, Steinhagen, Versmold und Werther kann im Stadtarchiv Halle (Westf.) gelesen werden.
Westfälische Zeitung (Bielefelder Tageblatt) vom 29. Juni 1905, Anzeige „Tierschaufest in Tatenhausen“, S. 4. Recherche: Martin Wiegand.
Tierschaufest in Tatenhausen 1905 - Anzeige Westfaelische Zeitung