Einen Plattenvertrag gewann Gabi van Zwoll mit „Hotel California“ beim Talentwettbewerb im POPEYE im Mai 1979.
Seit Anfang der 1970er Jahre gab es den Vorläufer WHISKEY A GO GO hier im ehemaligen Kohlenkeller – gegen den Widerstand macher Anwohner. Im Whiskey und später im Popeye tanzte die Haller Jugend zu Philadelphia-Sounds, trank Whiskey-Cola und nahm samt Modenschau und Tortenwerfen alles mit, was die kleine Landdiskothek zu bieten hatte. Ein Konzert von Boney M war 1976 eines der Highlights…
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Im ehemaligen Degner’schen Kohlenlager, Gartnischer Weg 1, entstand 1970 das zunächst von Bruno Magnani und Ferruccio Tomaselli betriebene „Whiskey a Go Go“.
Schon die Bauanfrage für eine Diskothek führte zu Sorgen, sowohl bei den Nachbarn als auch der Stadt, wegen eventueller zukünftiger Lärmbelästigung. Das Haller Kreisblatt berichtete am 12.03.1970, man wolle durch entsprechende Auflagen „sehr sorgsam“ die Ruhe der Anwohner sichern.[1]
Im August 1970 wurde die Eröffnung gefeiert. Die Werbung versprach „gemütliche Atmosphäre, gute Musik und gepflegte Bedienung“.[2] Schon wenige Wochen später bekundeten 17 (!) Anwohner fast wie erwartet ihren Unmut zu Lärm und Belästigungen. Schauplatz war die Bürgerfragestunde der öffentlichen Sitzung der Stadtvertretung, die im damaligen Gasthof Pallmeier stattfand. Ordnungsamtsleiter Brinkmann sah sich veranlasst, eine auf 22.00 Uhr befristete Öffnungszeit in Erwägung zu ziehen. Zuvor solle es jedoch einen Anhörungstermin für alle geben.[3]
Schon im Dezember 1970 fanden sich zu dem genannten Anhörungstermin mehr als drei Dutzend interessierte oder unmittelbar betroffene Bürger, diesmal im Musikraum der Realschule, ein. Beklagt wurde insbesondere das undisziplinierte Verhalten der Besucher, beispielsweise durch „Rennfahrerstarts“. Auch „Singen und Grölen“ wurde als belastend empfunden. Es seien Anlieger bedroht worden, und die informierte Polizei sei zu spät oder gar nicht erschienen… Bürgermeister Bentlage sagte zu, dass „die Angelegenheit“ von der Behörde und vom Rat weiterverfolgt werde.[4] Der ständige Stress mit den Behörden führte zeitnah zu einem ersten Besitzerwechsel. Ab dem 1. März 1971 fungierte Pietro de Cal als Inhaber.[5]
Die Neueröffnung 1974 brachte den Namen „Popeye“. Das Haller Kreisblatt titelte: „Nach Renovierung jetzt deutscher Pächter“.[6] Die Inhaber waren jetzt Heinz und Edith Kleine-Benne.
Die Jugendlichen zahlten 3,- bis 5,- DM Eintritt. Um 19.00 Uhr, spätestens um 20.00 Uhr ging es los!
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Das Publikum trug dem Zeitgeist entsprechend Bundeswehrparka und Alltagskleidung, extra „chic“ machte man sich eher nicht. Stilecht, mit einem Longdrink (Whiskey-Cola oder Wodka-O) in der Hand, lauschte man dann der Musik im „Philadelphia-Sound“, aber auch Reggae und Disko-Pop. Temptation oder auch Benny waren hier gern gehörte Interpreten. Dennie Christian und Wolfgang Petri traten sogar live auf.
Der Discjockey arbeitete mit analogen Tonträgern, teils Singles, teils LPs. Platten waren teuer, eine Single kostete gerne mal 4,– DM. Die Schallplatten wurden in Bielefeld gekauft, spezielle Läden versorgten die zwei Teller des DJs.
Überhaupt, der DJ: Gute waren gar nicht so einfach zu bekommen, und so warb man sich gegenseitig das Personal ab. Karl-Heinz Möller wechselte den Job für einen Farbfernseher – damals spektakulär, denn so ein Gerät war teuer und vom Lohn eines DJs nicht unbedingt zu finanzieren. Kalle Möller berichtet von 50,- DM für eine Arbeitszeit von 19.00-1.00 Uhr… Immerhin: Abholen und Heimbringen aus Versmold war inklusive. Einen Arbeitsvertrag gab es nicht – das Wort zählte. In vielen Läden mussten die DJs ihre Getränke selbst zahlen. Das gab’s bei Kleine-Benne im „Popeye“ nicht.
Neben den Gästen aller Altersstufen aus dem Altkreis Halle, fanden auch Soldaten der umliegenden englischen und holländischen Kasernen den Weg ins „Popeye“, überwiegend friedlich vereint mit der ortsansässigen Bevölkerung. Fraternisierung war angesagt, die Zeitzeugin Gabi van Zwoll berichtet von den „netten Niederländern“, zu denen die Kontakte noch lange, teils sogar in Form von späteren Briefwechseln, bestanden.[7]
Meist blieb alles ruhig: „Es wurde viel gesoffen, aber sonst… “ erinnert sich Inhaber Kleine-Benne.[8] Zumindest blieb es ruhig, solange die Gäste nicht durch eine andere Hautfarbe auffielen. DJ Kalle Möller erzählt von einem Skandal dieser Zeit im Las Palmas: Die an sich unauffälligen Türsteher ließen hartnäckig einen Farbigen nicht in die Disco. Dieser Vorfall führte zu großer Aufregung, umfänglicher lokaler Berichterstattung und Interventionen der Stadtvertreter, war der Abgewiesene schließlich der Oberarzt des Haller Krankenhauses…[9]
Überhaupt, gab es zu Zeiten des Popeye einige Skandale: Eine launisch-anzügliche Bemerkung des DJs zur knappen Bekleidung einer Diskogängerin führte ebenfalls prompt zu einem Leserbrief und öffentlicher Abstrafung. Es war irgendwie immer unruhig, „und es flog auch mal ein Glas durchs Nachbarfenster“ berichtet Heinz Kleine-Benne, so dass es später für das Popeye nur noch eine Genehmigung bis Mitternacht gab.
Gegen den erbitterten Widerstand der Betreiber beschloss der Wirtschaftsausschuss die Festlegung der vorgezogenen Sperrstunde.[10]
Aber es ging weiter, und im Spätsommer 1976 begrüßte man Stars , die viele aus der „Bravo“ kannten, am Gartnischer Weg: Frank Farian und seine karibisch anmutende Band „Boney M“ sagten ein Konzert im Popeye zu.[11] Bekannt war die Künstlergruppe für ihre aufregenden Kostüme und Choreographien; ihre Single „Daddy Cool“ war im Mai 1976 gerade erst erschienen. „Der Auftritt von Boney M kostete 2200,- DM“ erklärt Organisator Heinz Kleine-Benne.[12] Aus heutiger Sicht ist dies wohl eher ein günstiger Preis.
Man bemühte sich auch immer wieder um lokale Events. So berichtet unsere Zeitzeugin Gabriele van Zwoll von ihrer Teilnahme an einem Talentwettbewerb im Popeye am 19. Mai 1979, damals wohl eine regelmäßige Veranstaltung. Sie gewann mit ihrer Cover-Version von „Hotel California“ (im Original von den „Eagles“ aus dem Jahr 1976) nicht nur den ersten, mit 1000,- DM dotierten Platz, sondern auch einen Plattenvertrag!
Im Nachgang war das vom Veranstalter dann wohl doch ein wenig dick aufgetragen: Die junge Frau musste das Geld einklagen. Der „Plattenvertrag“ entpuppte sich als ein Termin für ein Vorsingen in einem schummerigen Kellerstudio, den sie dann doch lieber nicht wahrnahm.[13] Trotzdem war dies für die damals 18-Jährige eine schöne, aufregende Zeit von der sie noch heute begeistert erzählt: Im Kampf gegen Lampenfieber und Gesichtsröte erinnert sie sich an ihre Bitte um Rotlicht während ihres Auftritts im „Popeye“, der dann auch erfüllt wurde…
Haller ZeitRäume – Wir sammeln Erinnerungen.
Wiskey a Go Go
Popeye
[1] Haller Kreisblatt vom 12. März 1970.
[2] Haller Kreisblatt vom 8. August 1970.
[3] Haller Kreisblatt vom 15. Oktober 1970.
[4] Haller Kreisblatt vom 13. Dezember 1970.
[5] Haller Kreisblatt vom 27. Februar 1971.
[6] Haller Kreisblatt vom 13. März 1974.
[7] Gespräch mit Gabriele van Zwoll am 9.März 2019.
[8] Gespräch mit Heinz Kleine-Benne am 3. August 2017.
[9] Gespräch Karl-Heinz Möller am 6. Februar 2017.
[10] Haller Kreisblatt vom 13. März 1974.
[11] Haller Kreisblatt vom 13. August 1976.
[12] Gespräch mit Heinz Kleine-Benne am 3. August 2017.
[13] Zeitungsartikel (an dieser Stelle ein Dank an Martin Wiegand für die unermüdliche Recherche im Zeitungsarchiv)