London, Amsterdam, Hannover, Halle/Westfalen… Im düster erwarteten Orwell-Jahr 1984 fand sich die kleine Stadt Halle plötzlich unter den Tourdaten erfolgreicher Indie-Bands aus England oder USA wieder. Wie ein Komet erschien das HALLE3 als Konzert- und Veranstaltungsort in Ostwestfalen. Seine Strahlkraft zog tausende junge Erwachsene auf den Haller Schützenberg – um dann unter dem Druck der protestierenden Anwohner schon 1986 wieder zu verglühen.
Konzerte von Mink DeVille (USA, Foto), The Sound (GB) oder auch mal Heinz-Rudolf Kunze (D) sowie Kleinkunstfestivals, Modenschauen und Silvesterparties wurden von Bodo Colberg & Co. organisiert – neben dem normalen Halle3-Gastronomiebetrieb mit Pizza und Salat.
So rappelvoll war die Schützenhalle von 1912 noch nie…
Nachdem sie mit dem „Le Bistro“ erste Gastronomie-Erfahrungen gesammelt hatten, trauten sich Bodo Colberg, Hans-Peter Rosendahl und Dirk Teichert an ein größeres Projekt: durch einen Kontakt zur Haller Schützengesellschaft konnten sie die 1912 errichtete Festhalle auf dem Schützenberg pachten.[1]
Unter dem Namen „ Halle3“ – eine Mischung aus Adresse und Zahl der Inhaber – entstand neben einer Kneipe mit Restaurantteil eine überwiegend am Wochenende genutzte Veranstaltungshalle, die schnell überregionale Bedeutung und Berühmtheit erlangte.
Halle3 – Der prägnante blau-weiße Schriftzug, im gradlinigen Design der 1980er Jahre, war ein eigener Entwurf. Dessen grafische Umsetzung in computerlosen Zeiten sehr teuer wurde, erinnert sich Bodo Colberg [2].
Aber es lohnte sich: Tausende von Veranstaltungsgästen erhielten am Eingang den Stempel „Halle 3“ auf den Handrücken – das Logo wurde zum echten Markenzeichen. Der blaue Halle3-Aufkleber zierte manchen C Kadett oder roten R4. Der Laden brummte und erreichte innerhalb kürzester Zeit Kultstatus.
Schon zur Eröffnung 1984 kamen 800 junge Erwachsene aus Halle und der weiteren Umgebung. Konzerttermine und -Besprechungen erschienen in den Szenemagazinen der Region und machten das Halle3 zu einem Magneten für ein junges, politisch eher linkes Pubklikum. Die Plakate von „The Sound“ oder „Twelve Drummers Drumming“ klebten an jeder Litfasssäule. Für die Jugendlichen aus Halle, darunter die Oberstufenschülerinnen und -schüler des Kreisgymnasiums, war das Halle3 ein absoluter Glücksfall.
Im Gastronomiebereich hatte man sich vom Hot Dog aus „Bistro“-Zeiten in Richtung Pizza, Pasta und Curryschnitzel weiterentwickelt. . Auf der Halle3 – Speisekarte (PDF) fanden sich auch Milchkaffee, Fruchtsaft und Longdrinks.
Neben den Konzerten fanden auf dem Schützenberg auch Parties statt. Eine damals 15-jährige erinnert sich: „Eigentlich waren die Halle3-Leute älter, so achtzehn bis Mitte zwanzig. Wir Jüngeren gehörten da nicht so richtig hin, aber bei Parties ging das schon mal. Es waren einfach alle Leute da, die man kannte, einige davon waren ziemlich toll. Oh, hatte ich Herzklopfen…! Wir wirbelten zu ‚Our Darkness‘ von Anne Clark über die Holzdielen und tanzten zu ‚New Year’s Day‘ von U2 ins Jahr 1986.“
In Zusammenarbeit mit der FH-Bielefeld gab es im Halle3 Modenschauen, bei denen Absolventinnen und Absolventen des Fachbereichs Design ihre Abschlußarbeiten vorführten. Angelehnt an des Mode des Punk und New Wave trugen die Halle3-Besucherinnen und Besucher viel Schwarz – dazu etwas Individuelles, etwa ein Stück Wäscheleine als Schnürsenkel…
Beeindruckend organisiert war im Sommer das zweitägige Kleinkunstfest TAMFEZ…. Der Saal wurde gelegentlich auch vermietet, etwa an große Hochzeitsgesellschaften.
Allen Veranstaltungen gemein war, dass die Besucherinnen und Besucher fast ausschließlich mit dem Auto nach Halle kamen. Mit dem Erfolg wuchs dementsprechend auch der Ärger: Die zuführende Straße „Spitzenkamp“ mit ihren stilvollen Neubauten wurde mehr und mehr durch Gäste belastet, Anwohner fühlten sich gestört. So entwickelte sich unter den Anliegern eine Gruppe organisierter Halle3-Gegner. Lärmmessungen belegten hohe Belastungen, Bürgerbefragungen verschonten selbst die Angehörigen der Inhaber nicht, weiß Bodo Colberg zu berichten: Seine eigene Mutter wurde um eine Unterschrift gegen das Halle3 gebeten.[3]
Die jungen Leute fieberten und litten mit, als außeroddentliche Sitzungen zur Zukunft der Halle3 stattfanden, und den etwa gleichaltrigen Betreibern Zwangsgelder in fünfstelliger Höhe angedroht wurden. Diese erhieleten Rückendeckung von der Schützengesellschaft als Eigentümerin der Halle und vom damaligen Stadtdirektor. Hatte er erkannt, was dieser außergewöhnliche Veranstaltungsort für Halle bedeutete? Hätte nicht eine rückwärtige Zufahrt angelegt werden können? Scheinbar war die Zeit für ein stark frequentiertes „Event-Center“ in Halle noch nicht gekommen.
Letzten Endes setzten sich die Hausbesitzer mit ihrem Ruhebedürfnis durch. Am 15. März 1986 titelte das Haller Kreisblatt „Es ist soweit: Kehraus in Halle 3“ [4] An diesem Tag stand das Leertrinken aller Vorräte und auch gleich der Verkauf jeglichen Inventars auf dem Programm. Selbst am allerletzten Tag kam es noch zu Beschwerden, so dass Ordnungsamt und Polizei eine halbe Stunde vor Mitternacht die finale Veranstaltung beendeten [5].
Nach allen Querelen hielt sich die Trauer der drei Betreiber in Grenzen, zumal Bodo Colberg bereits neues Projekt auf den Weg gebracht hatte: Nur fünf Wochen nach der Schließung des Halle3 eröffnete er im April 1986 in der ehemaligen Ausflugsgaststätte die Discothek Plaza – später Meteor. Aber das ist eine andere Geschichte…
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Welche Musik wurde sonst noch im Halle3 gespielt? Schickt uns Eure Playlist!
[1] Bei diesem Kontakt handelte es sich um Bodo Colbergs Lehrherren Gustav Vogt, der als Haller Baubauunternehmen Geschichte schrieb („Männe Beton“) und Mitglied der Schützengesellschaft war. Gespräch mit Bodo Colberg am 24. Juni 2019.
[2] Gespräch Bodo Colberg und Andrea Schlüter am 18. September 2017.
[3] Gespräch Bodo Colberg und Andrea Schlüter am 18. September 2017.
[4] Haller Kreisblatt vom 15. März 1986.
[5] Haller Kreisblatt vom 17. März 1986.